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Rüstungsboom ohne Schweiz? Die Welt rüstet auf – mit immer weniger Schweizer Beteiligung

Unser Land habe nur noch «eine Rumpfindustrie», klagt ein Branchenvertreter. Das hat auch mit der Neutralität zu tun.

Wie geht es der Schweizer Rüstungsindustrie? Peter Huber sagt es im «Eco Talk» so: «Es ist nur noch eine Rumpfindustrie». Huber ist Präsident der Firma Systems Assembling, die Kabel, Computer und Spulen für zivile und militärische Produkte herstellt. Die Schweizer Armee ist zu klein, um die Rüstungsindustrie auszulasten. Und ausländische Rüstungskonzerne kaufen laut Huber kaum mehr in der Schweiz ein, denn sie dürfen Schweizer Waffensysteme nicht weitergeben. Das musste etwa Deutschland erfahren, als es Munition an die Ukraine liefern wollte – und der Bundesrat das verbot.

Was heisst das in Zahlen? Vergangenes Jahr sind die Kriegsmaterialexporte aus der Schweiz um fünf Prozent gesunken. Seit 2022 beträgt das Minus gar 30 Prozent. Derweil boomt die europäische Rüstungsindustrie. Der deutsche Rheinmetall-Konzern hat in den vergangenen zwölf Monaten mehr Aufträge erhalten als in den letzten 15 Jahren. Der Boom zeigt sich auch an der Börse: Der Aktienindex, der Luft- und Raumfahrt- sowie Verteidigungs- und Sicherheitsfirmen aus der ganzen Welt abbildet (MSCI World Aerospace and Defense), hat seit 2022 um 50 Prozent zugelegt. Beim Vergleichsindex, der alle Branchen berücksichtigt (MSCI World), beträgt das Plus nur 10 Prozent.

Was sind die Folgen für die Schweizer Unternehmen? Mehrere Firmen haben Kurzarbeit eingeführt oder Personal entlassen. Andere, wie die Mowag im Thurgau, verlegen die Herstellung zunehmend ins Ausland. «Ich behaupte, es gibt heute kein militärisches Gut mehr, das ausschliesslich in der Schweiz hergestellt werden kann», sagt Branchenvertreter Huber.

Gepanzertes Militärfahrzeug auf Wiese mit Soldat.
Legende: Weltweit gefragtes Kriegsmaterial aus der Schweiz: Der Piranha-Radschützenpanzer von Mowag. Doch inzwischen wird der Radpanzer vermehrt im Ausland produziert. Keystone / Laurent Gillieron

Leiden alle Schweizer Firmen in diesem Bereich? Nein. Das strenge Regime für Kriegsmaterialexporte, insbesondere die Wiederausfuhrregel, gilt nicht im selben Ausmass für Dual-Use-Güter. Zu diesen gehören etwa Komponenten, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können. Zur Dual-Use-Kategorie gehören die meisten der gut 3000 Schweizer Rüstungszulieferer. Manche rechnen mit deutlich steigenden Verkäufen in naher Zukunft. Laut Peter Huber bekommen aber auch sie den Vertrauensverlust zu spüren. In ausländischen Konzernen wie Airbus, die zivil und militärisch produzieren, treffe ein Einkäufer Entscheide für beide Bereiche. «Und der fragt sich dann ernsthaft, ob er Dual-Use-Güter noch in der Schweiz kaufen soll. Oder was entscheidet Bern nächste Woche wieder?»

Irgendwann wird die Frage kommen: Auf welcher Seite steht ihr?
Autor: May-Britt Stumbaum Sicherheitsexpertin Spears Institute

Was bedeutet dies für die Schweizer Neutralität? Sie dient als Begründung für die strikten Regeln. Die Neutralität werde unter Druck kommen, glaubt Sicherheitsexpertin May-Britt Stumbaum, Oberstleutnant der deutschen Luftwaffen-Reserve. Ihr zufolge erleben wir gerade einen Systemkonflikt «zwischen Ländern, die das UNO-getragene System der regelbasierten Ordnung halten wollen, und den Staaten, die das ändern wollen: China, Russland, der Iran». Und: «Dieser Konflikt wird sich zuspitzen, und irgendwann wird die Frage kommen: Auf welcher Seite steht ihr?» Auch Laurent Goetschel von der Schweizerischen Friedensstiftung erwartet Veränderungen. Neutralität müsse stets von allen relevanten Akteuren akzeptiert werden, «sonst funktioniert sie nicht».

Eco Talk, 7.4.2025, 22:25 Uhr; sten

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