Anfang Woche hatte Aussenminister Ignazio Cassis deutlich gemacht: Die Schweiz hat Russland letztlich auch deshalb nicht eingeladen an den Bürgenstock-Gipfel, weil die Ukraine dies nicht wollte. Der Schweizer Spitzendiplomat Thomas Greminger sieht das kritisch: «Die Schweiz hätte sich weniger angreifbar gemacht, wenn sie Russland eingeladen hätte», sagt der Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik. «Ich hätte wahrscheinlich beide eingeladen», so Greminger in der SRF-Samstagsrundschau. Vielleicht aber verfüge er nicht über alle Informationen.
Vorschlag für Kontaktgruppe mit Schweiz und Türkei
Die Schweiz müsse am Sonntag eine unparteiische Schlusserklärung zustande bringen, so Greminger. «Die Schlusserklärung oder die offizielle Medienkonferenz muss das Signal setzen, dass Frieden nur möglich ist mit allen Konfliktparteien am Verhandlungstisch.» Als Russland 2014 die Krim annektiert hatte, führte Greminger als Schweizer Botschafter bei der OSZE Verhandlungen mit beiden Staaten. Gestützt auf die Erfahrungen von damals schlägt er als nächsten Schritt kleinere, vertrauliche Gesprächsformate vor – konkret eine Kontaktgruppe mit Russland, der Ukraine, den USA und weiteren Staaten. Auch die Schweiz könne eine Rolle spielen als Moderatorin, als Gesprächsleiterin: «Warum nicht die Schweiz zusammen mit der Türkei?», sagt Greminger. «Vielleicht fliegt die Idee jetzt noch nicht, aber in ein paar Monaten.»
Das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik macht sich bereits konkrete Gedanken, wie eine provisorische Ordnung in der Ukraine aussehen könnte, wenn sich die Parteien auf einen Waffenstilstand einigen könnten. Dann bräuchte es westliche Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Solche Fragen könnte man in einer Kontaktgruppe vertraulich diskutieren. Nicht ausgeschlossen sei allenfalls eine provisorische Trennlinie zwischen der Ukraine und den russisch besetzten ukrainischen Gebieten. «Das ist einfach die Erfahrung aus vielen Konflikten», sagt Greminger. Häufig gehe es nicht anders – auch wenn damit der Aggressor faktisch belohnt werde.
Auch in Moskau kennt niemand Putins Kriegsziele
Thomas Greminger gehört zu den wenigen westlichen Diplomaten, die Kontakte zur russischen Seite haben aufrecht erhalten können. Im April folgte er einer Einladung an eine Rüstungskontrolle in Moskau. «Das war für mich mehr ein Vorwand, um mit wichtigen Experten und Regierungsvertretern zu reden», so der Schweizer. Im Moment würden sich nur wenige russische Gesprächspartner trauen, offen zum Beispiel über eine Konfliktlösung via Sicherheitsgarantien an die Ukraine zu reden. «Man wagt es nicht, weil man auch in Moskau nicht recht weiss, welches Kriegsziel der Präsident hat.» Er höre aber, dass die Wahrnehmung der Schweiz deutlich besser sei als das offizielle Narrativ des Aussenministeriums.
Sorgen bereitet dem Russland-Kenner die Indoktrinierung – dazu gehöre die Kampagne gegen Bundespräsidentin Viola Amherd am Staatsfernsehen. Bereits in den Schulen würden die Kinder indoktriniert. Er frage sich, zu welchen Einstellungen das führe bei den Menschen, sagt der Schweizer Spitzendiplomat. «Eine Annährung an den Westen wird unheimlich schierig.»