Es ist die Art Überraschung, auf die man eigentlich gerne verzichten würde. Roger Dürrenmatt muss gerade mit den Folgen einer solchen Überraschung umgehen. Der 47-Jährige leitet die Sanierung des Solothurner «Stadtmist», einer der grössten ehemaligen Abfalldeponien der Schweiz, 160'000 Quadratmeter gross, mit rund 500'000 Tonnen Abfall.
Jahrelang hat Dürrenmatt die Sanierung geplant. Nun haben sogenannte PFAS-Chemikalien seine Pläne unerwartet durcheinander gebracht: «Diese Chemikalien haben uns auf dem linken Fuss erwischt.»
Dürrenmatt ist nicht alleine. Auch andere Schweizer Kantone und Gemeinden kennen das Problem. PFAS sind Schadstoffe, die Gewässer und Böden belasten. Sie stammen aus Teflonpfannen, Backpapier, Feuerlöschschaum oder Outdoor-Bekleidung. Jahrzehntelang hat man sie kaum beachtet. In den letzten Jahren rückten sie in der Schweiz und international als «ewige Chemikalien» immer stärker in den Fokus. Und Anfang 2023 hat der Bund erstmals Grenzwerte für diese Stoffe festgelegt.
Diese Chemikalien haben uns auf dem linken Fuss erwischt.
Dass mitten in der Sanierung plötzlich neue Grenzwerte für Stoffe definiert werden, die man zuvor gar nicht auf dem Radar hatte, sei eine grosse Herausforderung, sagt Dürrenmatt: «Das ist wie, wenn Sie einen Marathon laufen und dann sagt jemand, das Rennen dauert nun 60 statt 42 Kilometer und führt noch über zwei Berge.» Für die Sanierung des «Stadtmist» in Solothurn haben die neuen Grenzwerte sehr konkrete Folgen.
Im Sommer 2022 begannen in Solothurn die Hauptarbeiten für die Sanierung, rund 130 Millionen Franken sind dafür budgetiert. Jetzt wird es wohl länger dauern, bis die Deponie wieder sauber ist – und es wird teurer.
Es ist eine unangenehme Situation, wenn man nicht weiss, wohin die Reise geht.
Sorgen bereitet Roger Dürrenmatt aber vor allem, dass man die genauen Auswirkungen bisher noch nicht abschätzen könne: «Es ist eine unangenehme Situation, wenn man nicht, weiss, wohin die Reise geht.» Zunächst müssen Dürrenmatt und sein Team jetzt praktische Grundlagenforschung betreiben. Hilfe vom Bund oder anderen Institutionen gebe es aktuell nicht.
Kantone forschen auf eigene Faust
Bisher gibt es keine etablierten Verfahren, wie sich PFAS von anderen Stoffen in der Deponie abscheiden lassen, wie sie später mit neuen Substanzen gebunden und dann entsorgt werden können. «Wir würden gerne vorwärtsmachen, können aber nicht auf irgendeine breite Praxis zurückgreifen», sagt Dürrenmatt. Das sorge auch bei der Vereinigung der Schweizer Altlastenfachleute für eine gewisse Ratlosigkeit.
Damit es mit der Sanierung des Solothurner «Stadtmist» trotz fehlendem Wissen vorwärtsgeht, startet diesen Herbst ein Pilotversuch. Das Ziel ist, bis im nächsten Frühling herauszufinden, wie man mit den PFAS umgehen kann. Alleine dieser Testbetrieb kostet zusätzlich 600'000 Franken.
Der Bund weiss, dass es eine schwierige Situation für die Kantone ist, man brauche nun aber diese Grundlagenforschung, sagt Catherine Schneeberger, Direktorin des Bundesamtes für Umwelt: «PFAS sind eine sehr vielfältige Gruppe von Schadstoffen mit mehreren tausend Chemikalien. Das ist eine sehr komplexe Angelegenheit.»
Angesichts der noch unklaren Auswirkungen, welche die PFAS-Chemikalien auf Sanierungsprojekte in der Schweiz haben, kann man wohl tatsächlich von einer bösen Überraschung sprechen.