Kinder rennen durch den Bunker, vorbei an den Tischen mit gespendeten Kleidern und Schuhen. Zivilschützer in orange-braunen Uniformen verteilen Medikamente. Mittendrin sitzt an einem langen Tisch Naquibulla Ashurie. Der Afghane spricht perfekt Englisch. In seiner Heimat hat er für die Amerikaner als Übersetzer gearbeitet.
«Taliban wollen mich töten»
Doch für die Taliban ist er ein Verräter. «Sie wollen mich töten. Das ist der Hauptgrund für meine Flucht», sagt Ashurie. Niemand verlasse seine Familie und seine Heimatstadt einfach so. Bevor er aufbrach, besorgte er sich Geld und klärte ab, wohin die Reise gehen soll.
Wie alle anderen Flüchtlinge habe auch er versucht, sich ständig übers Handy und per Internet zu informieren. Wo ist es gut? Welches Land nimmt Flüchtlinge auf?
Von UNO-Soldaten und anderen Helfern habe er erfahren, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufnehme. Deshalb sei er dorthin, sagt Ashurie und hält den Arm vor den Mund, weil er husten muss. Viele der knapp 100 Männer, Frauen und Kinder husten hier unten, in der Zivilschutzanlage. Es ist feucht – auch wegen der vielen Wäsche, die zum Trocknen hängt.
Diskussion um Rückschaffungen in Deutschland
Nach Ashuries Einschätzung waren nicht alle Geflüchteten in Afghanistan so unmittelbar an Leib und Leben bedroht wie er. Doch alle seien sie verzweifelt wegen der fehlenden Zukunftsperspektive in ihrem Land. In Deutschland, sagt der Übersetzer, seien die Flüchtlinge gut behandelt worden. Doch dann habe sich die Nachricht verbreitet, dass Angela Merkel mit dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani telefoniert habe. Woraufhin die afghanischen Flüchtlinge Angst bekamen, zurückgeschafft zu werden.
Abgesehen vom feuchten Bunker ist es wunderbar hier.
Zwischen dem Antritt seiner Flucht in Afghanistan und der Ankunft in der Schweiz liegen zwei Monate. Die Reise habe viel Geld gekostet, sagt Ashurie. Andere Flüchtlinge bestätigen das. Marzieh Noori zum Beispiel: Sie ist 24 Jahre alt und trägt ein elegantes Kopftuch. Sie möchte lieber draussen am Tageslicht zwischen Sportplätzen und Schrebergärten reden.
«Wir haben gehört, dass Deutschland die Afghanen wieder zurückschaffen will. Das ist der Hauptgrund, warum Afghaninnen und Afghanen jetzt in die Schweiz und in andere Länder ausweichen», sagt sie. Noori ist die Tochter eines schiitischen Klerikers. Sie floh zusammen mit Mann, Schwester, Bruder, Schwägerin, Schwager und Kindern hierher – eine Gruppe von insgesamt zwölf Leuten. Bereits vor sechs Jahren waren sie in den Iran geflüchtet. Dort aber hätten sie keine Zukunft gehabt und vor einem Monat seien sie weitergezogen.
«Die Schweiz bietet Sicherheit»
Für sie habe von Beginn an die Schweiz als Ziel festgestanden. «Die Sicherheit, die die Schweiz bietet, ist der Hauptgrund», sagt sie. Freunde, die schon hier wohnten, rieten ihnen hierherzukommen. Und jetzt stünden sie selber in telefonischem Kontakt mit ihren Onkeln, die nachkommen wollten. Doch: «Wir sagen ihnen: Kommt nicht, es ist zu gefährlich!», ergänzt ihr Mann, Ali Mohammadi.
Ein Teil der Flüchtlinge ertrinke im Meer, andere würden in den iranischen Bergen erfrieren. Hinzu komme das viele Geld, das man den Schmugglern bezahlen müsse: «Zehn bis zwölftausend Dollar pro Kopf verlangen sie», sagt Mohammadi. Sie hätten alles verkaufen müssen: Das Haus, das Land, die Möbel, den Schmuck. Und weil das nicht reichte, hätten sie zusätzlich Freunde und Verwandte um Kredit gebeten.
Seine Frau schaut den Männern zu, die vom Fussballspielen zurückkommen. Es wird langsam dunkel vor der Zivilschutzanlage. Sie hoffe, dass sie alle sich bald in der Schweiz registrieren lassen könnten, sagt sie. Denn: Abgesehen vom feuchten Bunker sei es wunderbar hier. Es bewahrheite sich: «Die Menschen in der Schweiz sind hilfsbereit und gut.»
Die Frauen nehmen die halbtrockene Wäsche vom Zaun – und steigen wieder hinab in den Bunker.