Ab Januar 2025 ist die Schweiz wieder ein ganz normales Mitglied der Vereinten Nationen. Ihre zweijährige Mitgliedschaft im mächtigsten UNO-Gremium, im Sicherheitsrat, endet. Was hat sie erreicht? Alt Bundesrat Joseph Deiss gibt der Schweizer Sicherheitsratsmitgliedschaft gute Noten, fordert jedoch eine mutigere, prinzipientreuere Schweizer Aussenpolitik.
SRF News: Hat die Schweiz während ihrer zwei Jahre im UNO-Sicherheitsrat Spuren hinterlassen?
Joseph Deiss: Die Mitgliedschaft fand in einer sehr bewegten Zeit statt. Es war nicht zu erwarten, dass da grosse Wenden kommen würden. Aber die Schweiz hat bewiesen, dass ihre Mitgliedschaft berechtigt war und hat damit ihr aussenpolitisches Profil geschärft. Der Beweis liegt nun vor, dass wir innerhalb der UNO alle Funktionen wahrnehmen können. Zu keinem Zeitpunkt war unsere politische Integrität infrage gestellt.
Wir haben gezeigt, dass die Schweiz sich im Sicherheitsrat souverän bewegen kann.
Haben sich also all die Befürchtungen nicht bestätigt?
Nein. Und das ist auch eine schallende Antwort an all jene, die sich noch anno 2020 dagegen sträubten. Ich denke an die SVP . Aber auch an Leute wie Gerhard Pfister, der damals sagte, ich zitiere: «Die Schweiz hat im Sicherheitsrat sicher nichts auszurichten.» Das ist falsch. Wir haben gezeigt, dass die Schweiz sich dort auch souverän bewegen kann.
War unsere Neutralität während dieser zwei Jahre beeinträchtigt?
Nein. Der Einsitz der Schweiz im Sicherheitsrat erwies sich als unproblematisch. Die Neutralität hat die Arbeit der Schweiz sogar erleichtert. Dennoch behaupten die SVP und andere unbelehrbare UNO-Gegner das Gegenteil. Das finde ich unredlich. Oder dann dumm. Denn wer kann am besten im Sicherheitsrat bei Schlichtungen auftreten? Ein Neutraler.
Hat die Schweiz ihre Prinzipien, ihre Positionen, ihre Werte konsequent vertreten im Sicherheitsrat?
Beim humanitären Kriegsvölkerrecht hat man uns anerkannt und erkannt als vehemente Verteidiger eines regelbasierten Systems. Das stärkt zugleich die Rolle des internationalen Genfs. Allerdings wünschte ich mir ab und zu ein entschiedeneres, mutigeres Auftreten.
Wo zum Beispiel?
Ich denke an die UNRWA …
… wo die Schweiz nun keine Zahlungen mehr leistet.
Stattdessen sollten wir uns mehr einsetzen für die Bedürfnisse der Zivilbevölkerung in Gaza. Vor allem das Schweizer Parlament hat es hier mit fadenscheinigen Begründungen verpasst, das Bild einer grosszügigen, dem humanitären Völkerrecht verpflichteten Schweiz zu zeichnen.
Da wir Zweifel haben, gibt es nichts zu essen von uns.
Stattdessen ist eine knauserige, kleinmütige, unseren traditionellen humanitären Grundsätzen unwürdige Parodie gespielt worden. Es wurde gesagt, wir könnten kein Geld mehr an die UNRWA zahlen , weil Zweifel bestehen. Da wir Zweifel haben, gibt es nichts zu essen. Wenigstens von uns nicht. Ich finde das unerträglich.
Welche anderen Entscheidungen der Schweiz in und gegenüber der UNO heissen sie nicht gut?
Ich hätte bei der Abstimmung über die Anerkennung Palästinas als Staat zugestimmt . Man sagt immer, es sei nicht der richtige Moment. Und das seit 80 Jahren. Es wäre an der Zeit, hier reinen Wein einzuschenken. Wir wollen einen Friedensvertrag. Ein Friedensvertrag ist ein Staatsvertrag, also kann er nur von Staaten abgeschlossen werden. Wir können von Palästina nicht verlangen, als Nicht-Staat einen Staatsvertrag abzuschliessen. Daher habe ich Mühe mit der Schweizer Position.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.