Am 9. Mai 1936 betrat Benito Mussolini den Balkon des Palazzo Venezia in Rom. Der Duce verkündete, die Offensive gegen Äthiopien sei beendet und das antike Römische Reich wiederhergestellt. Italien herrschte zu diesem Zeitpunkt über Äthiopien, Eritrea, Libyen, Teile der Ägäis und Gebiete an der somalischen Küste.
Den Faschisten Mussolini und seine äusserst brutalen Feldzüge beobachtete man auch in der Schweiz, teils mit einiger Bewunderung – trotz Senfgaseinsatz und Hunderttausenden von Toten. Um die italienische Armee auf dem Schlachtfeld aus nächster Nähe zu beobachten, war der Waadtländer Korpskommandant und spätere General Henri Guisan sogar als Militärbeobachter 1935 nach Italien gereist.
Die Delegation von 1937 nach Rom
Gerade in der Waadt war man interessiert, die Beziehungen zum Duce zu intensivieren. 1937 reiste der Rektor der Universität Lausanne mit einer Delegation nach Rom, um Mussolini die Ehrendoktorwürde der Universität zu verleihen. Anfang Jahrhundert hatte Mussolini noch in Lausanne studiert, aber ohne je eine Prüfung absolviert zu haben.
«Doktor Mussolini – eine heikle Vergangenheit» ist der Titel einer Ausstellung, die letzte Woche an der Universität Lausanne eröffnet wurde. Eine Frage steht im Zentrum: Wie konnte die Uni einem Faschisten, Massenmörder und Mitverantwortlichen des Zweiten Weltkriegs den Ehrendoktortitel verleihen?
Die Ehrung geschah absolut bewusst und war kein Unfall. Die Universität wusste genau, was sie 1937 tat.
Dazu gibt es jetzt nach einer mehrjährigen aufwändigen historischen Forschung viele neue Fakten, Dokumente und Thesen. Klar ist laut Ausstellungsmacherin Olga Canton Caro: «Die Ehrung geschah absolut bewusst und war kein Unfall. Die Universität wusste genau, was sie 1937 tat.»
Die Recherchen von Historiker Marc Perrenoud zeigen eindrücklich: In Lausanne gab es rund um die Figur Mussolini eine Art Magnetfeld, mit einigen glühenden Faschisten innerhalb der Professorenschaft.
Auch Henri Guisan begeistert
Einflussreich war gemäss Perrenoud auch der spätere General Henri Guisan, der nach seiner Rückkehr 1935 aus Italien einen Bericht voller Bewunderung für Mussolini verfasste. Er befand, noch mehr als der italienischen Armee sei es dem «Genie des Duce» geschuldet, dass man Lust auf Italien bekomme.
Einflussreiche Persönlichkeiten haben bei Kriegsverbrechen weggeschaut und behauptet, Mussolini habe Äthiopien in die Zivilisation geführt.
Zwar gab es in Lausanne bereits in den 1930er-Jahren vereinzelt Kritik an der Verleihung der Ehrendoktorwürde, die auch Teil der Ausstellung ist. Historiker Perrenoud sagt aber: Einflussreiche Persönlichkeiten hätten bei Kriegsverbrechen weggeschaut und behauptet, Mussolini habe Äthiopien in die Zivilisation geführt.
Die Waadtländer Eliten aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sahen im Duce einen Modernisierer, der die Bolschewisten kontrollieren und den sozialen Frieden sichern konnte – und der Hitler überzeugen sollte, mit der Schweiz pfleglich umzugehen.
Mussolini wiederum beklagte sich in Rom bei Schweizer Diplomaten über unliebsame Presse, worauf der Bundesrat Zensurmassnahmen ergriff. Der Diktator schickte aber auch Geschenke: 1000 Franken für die Universität Lausanne zu ihrem 400. Geburtstag. Perrenoud spricht von einem doppelten Spiel aller Beteiligten, das Mussolini sehr effizient zur Durchsetzung seiner Interessen betrieben habe.