Jeden Herbst brechen weltweit etwa 50 Milliarden Zugvögel zu ihren Winterquartieren auf. Fünf Milliarden von ihnen machen sich auf die Reise von Europa nach Afrika. Doch nicht die Kälte treibt sie in den Süden – es ist der Mangel an Nahrung.
Wenn es kalt wird, hat es hierzulande kaum mehr Insekten. Vögel, die sich von Insekten ernähren, ziehen deshalb im Winter weg, wie Livio Rey von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach erklärt. Vögel, die ihre Ernährung umstellen können oder ohnehin auch Körner fressen, bleiben hier.
Als erste Vögel verlassen jeweils Kuckucke die Schweiz. Schon ab Mitte Juli brechen sie zu ihren Wintergebieten südlich der Sahara auf. Kurz darauf folgen weitere Langstreckenzieher wie Mauersegler, Schwarzmilan und Pirol.
«Grundsätzlich gilt: Je früher die Vögel abfliegen, desto eher überwintern sie in Afrika», sagt Rey. Diejenigen Vogelarten, die in Südfrankreich oder Spanien überwintern, brechen später auf. Gegen Oktober verlassen in der Regel die letzten Vögel, die es in den Süden zieht, die Schweiz.
Innere Uhr zeigt Zeit zum Abflug
Während die Kurzstreckenzieher teilweise flexibel auf aktuelle Witterungsbedingungen reagieren, ist es bei Langstreckenziehern stark in den Genen verankert, wann sie abfliegen müssen. «Bei einer bestimmten Tages- und Nachtlänge werden Hormone aktiviert, dann beginnt bei den Vögeln die Zugunruhe», erklärt Rey.
Diese starke innere Uhr wird zunehmend zu einem Problem für die Vögel. Denn durch die Klimaerwärmung beginnt in Europa der Frühling jährlich früher. Die Langstreckenzieher verändern ihren Zeitplan aber nur geringfügig. Dadurch verpassen sie die besten Bedingungen für ihre Brutzeit und haben laut Rey teilweise weniger Junge oder können diese weniger gut ernähren.
Von den Kurzstreckenziehern bleiben hingegen gewisse Vögel, die früher im Winter immer in den Süden flogen, vermehrt in der Schweiz. Dazu gehören etwa Weissstörche und Rotmilane.
Für einige Vögel ist die Schweiz der Süden
Mit dem jährlichen Wegzug der Zugvögel aus der Schweiz sei der Vogelzug ausserdem nicht vorbei, betont Rey. Denn die Seen der Schweiz seien für viele Wasservögel ein attraktives Winterquartier. Rund eine halbe Million Wasservögel verbringt den Winter jeweils hier, wie man von entsprechenden Zählungen weiss.
1974: Swissair fliegt bedrohte Schwalben in den Süden
Auf diese Weise wurden mehr als eine Million Schwalben im Flugzeug transportiert. Sie galten als sogenanntes «Beigut» auf den Flügen.
Allerdings nimmt die Zahl der in der Schweiz überwinternden Wasservögel ab, denn mit dem Klimawandel frieren auch in den weiter nördlich gelegenen Brutgebieten vieler Vögel die Seen im Winter nicht mehr zu.
Dem Trend der vorhergehenden Jahre folgend, waren die Bestände der überwinternden Wasservögel auch im letzten Winter sehr tief. Im Januar 2024 wurden in der Schweiz inklusive Grenzgewässer nur etwa 360'000 Individuen gezählt.
Geheimnisvoller Vogelzug: Als Vögel im Winter auf den Mond flogen
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Lange herrschte grosse Verwirrung über das plötzliche Verschwinden von Vögeln im Winter.
Vögel verwandeln sich
Schon die alten Griechen bemerkten, dass die Vogelarten um sie herum mit den Jahreszeiten wechselten. Aristoteles schloss daraus, dass sich Gartenrotschwänze bei Wintereinbruch in Rotkehlchen verwandeln. Von Störchen und Schwalben glaubte Aristoteles, dass sie den ganzen Winter in Verstecken schlafen und erst im Frühling wieder aufwachen.
Vögel überwintern unter Wasser
Ähnlich abenteuerlich blieben die Theorien bis weit nach dem Mittelalter. Der Schwedische Bischof Olaus Magnus vermutete im 16. Jahrhundert, Vögel würden im Winter an den Boden von Seen sinken. Diese Theorie hielt sich bis in die 1800er-Jahre.
Vögel fliegen auf den Mond
Einige Gelehrte lehnten jedoch die weithin akzeptierte Winterschlaftheorie ab. So zum Beispiel der englische Wissenschaftler Charles Morton. Für ihn war klar: Vögel fliegen im Winter auf den Mond. Morton argumentierte, dass niemand jemals einen Zugvogel während den Wintermonaten gesehen habe und dass es daher wahrscheinlich sei, dass sich die Vögel in dieser Zeit gänzlich von der Erde entfernten.
Erste Hypothesen
Dass noch nie jemand einen Zugvogel im Winter gesehen habe, stimmt aber so nicht ganz. Bereits im 15. Jahrhundert berichteten Reisende von der Anwesenheit von Störchen in Afrika, während sie in Europa nicht mehr zu sehen waren. Nach und nach wichen die frühen fantasievollen Erklärungen der Einsicht, dass Vögel in den Süden fliegen.
Der Pfeilstorch
Eine der ersten physischen Beweise für den Vogelzug ist der «Pfeilstorch» von 1822. In Mecklenburg-Vorpommern, an der Ostsee, wurde damals ein Weissstorch entdeckt, der von einem afrikanischen Speer durchbohrt war.
Beringung der Vögel
Ein entscheidender Durchbruch in der Forschung zum Vogelzug brachte die Beringung. Im Jahr 1899 begann der dänische Vogelkundler Hans Christian Cornelius Mortensen systematisch, Vögel mit Aluminiumringen zu kennzeichnen. Dies hat die Erforschung des Vogelzugs revolutioniert. Damit war es möglich, herauszufinden, wohin die Vögel genau ziehen.
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