Die Krankenkassenprämien steigen ungebremst – und wieder werden vor allem von links Rufe laut, die Prämienverbilligungen müssten ausgebaut werden. Der Gesundheitsökonom Tilman Slembeck sieht darin kein probates Mittel, um die explodierenden Kosten in den Griff zu bekommen – im Gegenteil.
SRF News: Wie wirkt sich der neuste Prämienanstieg auf die Prämienverbilligungen aus?
Tilman Slembeck: Die Situation in den Kantonen ist sehr unterschiedlich. Dort, wo die Prämien besonders stark ansteigen, werden die Kantone bei den Prämienverbilligungen wohl aktiv werden. So hat Zug bereits angekündigt, den Kostenanstieg auffangen zu wollen. Das führt zu Mehrausgaben, welche der Kanton letztlich über die Steuern wieder hereinholen muss. Dabei werden die wohlhabenderen Haushalte über die Steuerprogression stärker zur Kasse gebeten als weniger wohlhabende.
Seit 27 Jahren gilt das Krankenversicherungsgesetz in der Schweiz, gleich lange gibt es auch die Prämienverbilligungen für darauf angewiesene Personen. Wie hat sich dieses Instrument bisher bewährt?
Die Prämienverbilligungen wurden damals eingeführt, um Menschen zu schützen, die durch die Prämien für die obligatorische Krankenversicherung in Not kommen.
Ein Drittel der Menschen in der Schweiz erhält Prämienverbilligungen.
Mittlerweile sind die Prämien derart hoch, dass rund ein Drittel der Menschen in der Schweiz Prämienverbilligungen erhält. Das Instrument hat sich also quasi verselbständigt – und den Druck aus dem Gesundheitssystem herausgenommen, mehr Sorge zu den Kosten zu tragen.
Was meinen Sie damit?
Wenn die Bevölkerung dank immer mehr Prämienverbilligungen die Zunahme der Kosten weniger spürt, dann ist der Druck geringer, echte, tiefgreifende und wirksame Reformen zur Kostendämpfung anzugehen.
Die Prämienverbilligung wirkt wie ein Schlafmittel.
So gesehen wirkt die Prämienverbilligung wie ein Schlaf- oder Beruhigungsmittel. Ohne die Prämienverbilligungen hätten wir schon lange einen Volksaufstand.
Bund und Kantone setzen pro Jahr mehr als 5.5 Milliarden Franken für Prämienverbilligungen ein – etwa so viel wie für die Armee. Wie schätzen Sie diese Zahl ein?
Es ist ein enormer Betrag – und er zeigt, dass das System aus dem Ruder gelaufen ist.
Die Linke fordert, die Prämien an die Einkommen zu koppeln. Welche Vorteile hätte ein solches System?
Es hätte keinerlei Vorteile, im Gegenteil: Das würde das System noch mehr verschlechtern, weil weiterhin kein Druck bestünde, das System zu reformieren. Es wäre eine blosse Umverteilung von Kosten, das Problem des immer teurer werdenden Gesundheitswesens würde damit keineswegs gelöst.
Sie vergleichen in Ihrer Forschung Gesundheitssysteme verschiedener Länder. Was fällt bezüglich der Schweizer Prämienverbilligung auf?
In anderen Ländern gibt es keine Prämienverbilligung. In Deutschland etwa sind die Prämien direkt ans Einkommen gekoppelt, wie in der Schweiz beispielsweise die AHV-Beiträge. In einem solchen System bezahlen die Personen mit hohen Einkommen deutlich mehr als jene mit tiefen Einkommen.
Die Prämienverbilligungen verschlimmern das Problem – sie verschleppen die Krankheit.
Wo sehen Sie Handlungsbedarf, was die Prämienverbilligungen in der Schweiz angeht?
Die Prämienverbilligungen verschlimmern das Problem letztlich, sie verschleppen quasi die Krankheit. Im Schweizer Gesundheitswesen sind grundsätzliche Reformen nötig: Es braucht ein System, in dem die Gesundheitsversorger nicht umso mehr verdienen, je kränker die Leute sind. Es braucht ein System, in dem sie dann mehr verdienen, wenn die Leute gesund sind. Anzustreben wäre also ein gesundes Gesundheitssystem.
Das Gespräch führte Oliver Kerrison.