- Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten müssen in der Schweiz teilweise monatelang warten, bis klar ist, ob sie eine Therapie benötigen und was für eine.
- Je nach Spital kann die Wartezeit weit über ein Jahr betragen.
- Dies ist eine Belastung für die Kinder und ihre Familien ebenso wie für die Schulen.
Schulkinder, die Verhaltensauffälligkeiten zeigen, werden heute in der Regel abgeklärt und wenn nötig therapiert. Ziel ist es, die Eltern und Schulen möglichst schnell zu entlasten. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Tausende Kinder warten derzeit auf den Bescheid, ob sie eine ADHS- oder andere Therapie benötigen – dies bisweilen monatelang.
Lange Wartelisten in den Spitälern
Oskar Jenni leitet die Entwicklungspädiatrie am Universitäts-Kinderspital Zürich. Seine Mitarbeiterinnen entscheiden, ob ein Kind eine Therapie erhält oder nicht. Auf der Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich seien rund 2000 Kinder auf der Warteliste, so Jenni. Die Wartezeit betrage etwas mehr als ein Jahr. Eine Dauer, die sich mit der anderer Kantone deckt, wie eine Umfrage von SRF zeigt.
Nicht nur die Kinder und die Familien leiden, sondern auch die Schulen sind unter Druck.
Je gravierender die mögliche Störung ist, desto früher werden die Kinder abgeklärt. Am längsten warteten Kinder mit Schul- und Aufmerksamkeitsproblemen, heisst es zum Beispiel aus dem Universitäts-Kinderspital beider Basel.
Für die Betroffenen sei diese Wartezeit schwierig, sagt Kinderarzt Jenni: «Nicht nur die Kinder und die Familien leiden, sondern auch die Schulen sind sehr unter Druck.» Weil das betreffende Kind womöglich den Unterricht stört.
Mehr Entwicklungsstörungen, zu wenige Kinderärzte
Damit der Arzt oder die Ärztin das Kind versteht, braucht es eine sorgfältige Abklärung. Und solch eine Abklärung dauert etwa acht Stunden. Dass derzeit so viele Kinder so lange auf eine Antwort warten, liegt einerseits daran, dass heute mehr Entwicklungsstörungen festgestellt werden. Andererseits fehlen die Kinderärzte, die wie die Kinderspitäler solche Abklärungen machen können.
Man müsste das Personal ausbauen, sagt Jenni. «Das ist aber nicht ganz so einfach, weil die ambulanten medizinischen Leistungen in der Schweiz ungenügend vergütet werden.» Das sei nicht neu. Jenni verstehe nicht, warum sich die Politik dem Thema nicht annimmt. «Ich glaube, wir müssen dringend mehr finanzielle Ressourcen investieren in die Kindheit, damit es den Kindern in Zukunft gut geht. Sonst wird es einfach noch viel teurer in einigen Jahren.»
Für den renommierten Entwicklungsforscher ein gesellschaftliches Problem: In alternden Gesellschaften gerate das Kindeswohl gerne politisch in den toten Winkel.