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«Über die Grenze, Knall» Bankomaten-Bomber bringen Banken in Bedrängnis

Zunehmend verwenden kriminelle Banden aus dem Ausland in der Schweiz Sprengstoff, um Geldautomaten zu knacken. Das Fedpol ist besorgt – die Banken sind es noch mehr. Die Hintergründe zur neuen Generation organisierter Netzwerke im Bankraub.

Ein Bild der Zerstörung zeigt sich am Montagmorgen an der Solothurnstrasse im bernischen Jegenstorf. Die Wucht der Explosion hat einen Teil der Fensterfront aus dem Gebäude einer Geschäftsstelle der Bank Valiant gehoben. Nur knapp hängen die Fenster noch in der Verankerung. Dämmmaterial und Scherben liegen auf dem Vorplatz der Filiale verteilt.

Das Ziel der Sprengung: der Geldautomat. Dieser ist völlig zerstört. Laut der Polizei handelten die Täter zwischen 2 und 3 Uhr nachts. Die Aktion muss nur wenige Minuten gedauert haben. Als die einberufenen Einsatzkräfte vor Ort eintrafen, waren die Täter bereits geflüchtet.

Dazu kommt: Es war nicht die einzige Bankomatensprengung in der Schweiz in dieser Nacht. Auch in Küssnacht am Rigi im Kanton Schwyz wurde der Geldautomat an einer Avia-Tankstelle gesprengt. Ob die beiden Taten zusammenhängen, wird aktuell ermittelt.

Fedpol zeigt sich besorgt

Im vergangenen Jahr gab es gemäss Zahlen der Bundespolizei schweizweit 32 Bankomat-Sprengungen. 2022 waren es 56 gewesen. Dieses Jahr sind es bereits 21. Die Behörden führten den Rückgang aller Überfälle unter anderem auf Sicherheitsmassnahmen wie Gitter, Videokameras, den Einsatz von Farbstoffen oder Standortwechsel gefährdeter Bankomaten zurück.

Die Anzahl Angriffe auf Geldautomaten nahm 2023 in der Schweiz ab. Was aber auffällt: Immer häufiger wird Sprengstoff eingesetzt, um an das Bargeld im Automaten zu kommen. Das bringt das Fedpol auf den Plan. «Diese Entwicklung ist besorgniserregend», sagt Berina Repesa, Sprecherin der Schweizer Bundespolizei Fedpol. Denn dadurch würden potenziell Anwohnende gefährdet. Ausserdem komme es immer wieder vor, dass nicht detonierter Sprengstoff am Tatort zurückbleibe oder die Kriminellen sich selbst verletzten.

Wie viel macht die Beute aus?

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Die Banken wollen sich zur Höhe der Geldbeträge in ihren Geldautomaten aus Sicherheitsgründen nicht äussern. Es gibt aber Anhaltspunkte in Anklageschriften der Bundesanwaltschaft. In der Gemeinde Buchberg im Kanton Schaffhausen sprengte ein Duo 2022 einen Bankomaten.

Der Anschlag schlug aber fehl. Die Täter mussten flüchten – ohne die Beute. Im Tresor lag eine Summe von über einer halben Million Franken sowie über 80'000 Euro. Viel Geld für eine kriminelle Tat von nur wenigen Minuten.

Das Fedpol sagt, man spüre, dass die Banken aufgerüstet hätten. «Die Kriminalitätslage bleibt volatil. Das sind keine Kleinkriminellen, sondern kriminelle Netzwerke, die professionell vorgehen», so Repesa.

Banken im Jurabogen dünnen ihr Bankomatnetz aus

Inzwischen sind die Banken in der Schweiz so stark davon betroffen, dass sie gar die Verfügbarkeiten ihrer Geldautomaten einschränken. Wie die Neuenburger Kantonalbank (BCN) am Dienstag bekannt gab, werden per sofort an fünf Standorten die Bankomaten geleert und ausser Betrieb gesetzt.

Die Massnahme erfolgte nach einem Sprengstoffanschlag auf einen Geldautomaten in La Brévine. Damals wurde ein Anwohner durch den Angriff verletzt. Gleich tönt es aus dem Kanton Jura: Auch die Jurassische Kantonalbank gab bekannt, dass sie mehrere Bankomaten und Filialen bis auf Weiteres schliesse.

«Geh über die Grenze, tanke auf und Knall»

Zwar ist die Methode mittels Sprengung nichts Neues. Gerade die «Mocro Maffia» (Niederländischer Slang für Marokko) aus den Niederlanden wendet dies seit Jahren an. Dort wird die Sprengung von Bankomaten gar in Rapvideos verherrlicht, so wie in diesem Video aus dem Jahr 2020 (ab 2:45 sieht man einen Anschlag):

Übersetzt heisst es:

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«(...)

Geh über die Grenze, tanke auf und bumm
Öffne die Bank, Kassetten gehen
Geh über die Grenze, tanke auf und Knall
Mach die Bank auf, mach die Bank auf

(...)»

Neben Gruppierungen aus den Benelux-Staaten sind auch oft osteuropäische Kriminelle für Sprengungen verantwortlich: zum Beispiel aus Rumänien.

Für die Täter ist das Geschäft der Sprengung von Automaten lukrativ. Die Schweiz weist eine hohe Bankomatendichte auf. Ausserdem hilft die Kleinräumigkeit, dass die Täter schnell wieder ins Ausland flüchten können.

Am Schluss ist es dann noch der Wohlstand, der den Ausschlag gibt, in die Schweiz zu fahren.

Täter werden kaum gefunden

Bis 2023 wurde bisher in der Schweiz nur ein einziger Bankomatensprenger verurteilt . Damals konnte der Täter mittels DNA-Spuren ausfindig gemacht werden. Dies geschieht selten, wie die Fedpolsprecherin sagt: «Durch das professionelle Vorgehen der Täter fehlen oftmals Spuren, um diese zu identifizieren.»

Doch was können die Banken überhaupt tun, damit ihnen nicht ein Geldautomat gesprengt wird?

Massnahmen gibt es. Die Bundespolizei berät dazu Hersteller und Betreiber von Bankomaten. Das Fedpol könne nur empfehlen, einen Bankomaten zu verschieben oder zu schliessen – oder Schutzmassnahmen zu treffen. Am Schluss liege es in der Entscheidungskompetenz der betroffenen Banken, sagt Repesa.

Klebstoff, Farbstoff oder künstliche DNA

Es gibt verschiedene Arten, wie sich Banken vor der Sprengung ihrer Automaten schützen können. Zwar will keine Bank mit SRF im Detail ihre Schutzmechanismen besprechen. Nicht, dass man den Banden noch einen Informationsvorteil verschaffe.

Die Recherche von SRF zeigt, dass viele Geldautomaten Systeme mit Farb- oder Klebstoff enthalten. Durch die Sprengung werden die Banknoten so unbrauchbar. Dies vermiest den Tätern ihre Beute.

Ein neues System mit künstlicher DNA, die auf Banknoten platziert wird, setzt sich auf die Kleidung der Täter ab – und dies bis zu zwei Jahren. Dies hilft, die Täter besser zu überführen. Sofern diese gefunden werden.

Doch beide Mechanismen verhindern eine eigentliche Sprengung nicht. Dort hilft nur eines: den Geldautomaten schliessen oder verschieben.

Bank Valiant: Geschäftszeiten werden angepasst

Anruf bei der betroffenen Bank von Jegenstorf. Christoph Wille ist Mitglied der Geschäftsleitung von Valiant. Gegenüber SRF sagt er: «Der Schaden oder das gestohlene Geld ist das eine, was uns aber am stärksten beschäftigt, ist, dass unsere Mitarbeitenden sowie allenfalls Kundinnen und Kunden durch solche Raubzüge gefährdet werden.»

Ausserdem sei es auch ungünstig für die Kundschaft, denn nach der Attacke von Jegenstorf ist die Geschäftsstelle nun für mehrere Tage nicht zugänglich. So gross war der Schaden.

Zerstörte Glasfassade und Geldautomat vor einem Gebäude.
Legende: Häufig wird bei der Sprengung nicht nur der Geldautomat in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch gleich das ganze Gebäude, wie hier in Volketswil von 2021. KEYSTONE/Michael Buholzer

Bei Valiant ist es bereits der zweite Vorfall innert 14 Tagen. Bereits letzte Woche wurde ein Geldautomat in Laufen BL gesprengt. Auch dort entstand beträchtlicher Sachschaden am ganzen Gebäude.

Und Valiant reagiert: «Wir haben nach dieser zweiten Attacke beschlossen, die Geschäftszeiten an gewissen Standorten anzupassen», sagt Wille. Das bedeute, dass in der Nacht, in der die meisten Angriffe passiert sind, die eigentlichen 24-Stunden-Zonen nicht mehr geöffnet seien. «Ausserdem haben wir einzelne Geldautomaten – gerade im Jurabogen – temporär geschlossen.» Ob und wann diese je wieder geöffnet werden, wird aktuell überprüft.

Dabei spiele auch eine Rolle, dass die Kosten für den Betrieb der Geldautomaten durch die Gefahr von Sprengungen immer stärker steigen. Auch dies habe einen Einfluss darauf, ob man Standorte noch fortführe, so Wille.

Digitale Transformation könnte die Problematik entschärfen

Was den Banken in die Hände spielt, ist die sinkende Bedeutung von Bargeld im Alltag. Zwar ist es nach wie vor das wichtigste Zahlungsmittel der Schweizerinnen und Schweizer. Allerdings nimmt die Bedeutung von digitalen Zahlungsarten zu.

Die Anzahl der Geldausgabeautomaten, wie die Schweizerische Nationalbank SNB Bank- und Postomaten beschreibt, nimmt hingegen erst seit 2020 ab (siehe Grafik). Im März 2024 gab es in der Schweiz immer noch 6392 solcher Automaten.

Auch Christoph Wille von Valiant sieht in der digitalen Transformation allenfalls eine Entschärfung des Problems: «Dass digitales Bezahlen heute nahezu überall möglich ist, bedeutet, dass Bargeld im Alltag kaum mehr nötig ist. Wir glauben deshalb, dass unsere Kundschaft künftig auch mit weniger Bankomaten auskommen wird. In diesem Sinne ermutigen wir unsere Kundinnen und Kunden, wo immer möglich, digitale Zahlungsmittel einzusetzen.»

Bis auf Weiteres wird das Wettrüsten zwischen den Banken und Banden anhalten. Es wird wohl nicht der letzte Knall sein, den Anwohnende in der Nähe von Geldautomaten hören werden. Bleibt zu hoffen, dass keine Unbeteiligten mehr verletzt werden.

Regionaljournal Bern, 10.06.2024, 17:30 Uhr

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