Wenn am Sonntag die Weltmeisterschaft startet, steht nicht nur der Fussball im Zentrum. Die Kritik am Gastgeber Katar reisst nicht ab; Missachtung von Menschenrechten, Ausbeutung der Hilfsarbeiter beim Bau von Sportstadien, ein riesiger ökologischer Fussabdruck sowie Korruption und Spionage bei der WM-Vergabe.
Sport oder symbolischer Boykott – diese Frage hat das heimische Wohnzimmer längst verlassen und ist zum Politikum geworden. So hat das Zürcher Stadtparlament am Mittwochabend ein Postulat der Alternativen Liste (AL) angenommen und klargemacht, dass es gegen die Fussball-WM protestieren will. Der Stadtrat muss den Vorstoss, keine Public Viewings auf öffentlichen Grund zuzulassen oder zu finanzieren, nun prüfen. Und er muss darlegen, wie die Stadt «ihren Protest gegen die menschenrechtsunwürdige und klimafeindliche Durchführung der Fussball-Weltmeisterschaft in Katar zum Ausdruck bringen kann», wie es im Postulat heisst.
Die Folgen des Zürcher Votums sind minim: Nur ein einziger Veranstalter hat bei der Stadt ein Gesuch für eine Live-Übertragung auf öffentlichem Grund eingereicht – in der Nähe des Hauptbahnhofs. Man habe entschieden, das Gesuch für ein Public Viewing mit 800 Plätzen nicht zu bewilligen, schreibt das Sicherheitsdepartement.
Die Westschweiz macht es vor
Zürich ist nicht die einzige Stadt, die ein Zeichen gegen die WM setzen will. Vorreiter im WM-Boykott ist die Westschweiz. Nach dem Vorbild etlicher französischer Grossstädte wird in keiner grösseren Stadt der Romandie ein Public Viewing auf öffentlichem Grund durchgeführt. In Genf war zunächst eine Fanzone mit Grossbildleinwand geplant. Doch Mitte Oktober mussten die Veranstalter das Handtuch werfen. Zu gross war der Widerstand aus der Bevölkerung.
In Lausanne verzichtet die Stadtverwaltung auf ein Public Viewing, wie sie es normalerweise seit 2008 für Euros und Weltmeisterschaften einrichtet. Noch einen Schritt weiter geht Vevey: Die Stadt hat jegliche Fanzonen verboten.
Die Stadt Bern hat zwar keinen WM-Boykott beschlossen. Dennoch scheint das Fussballfieber auf sich warten zu lassen. Nur ein Gesuch für ein Public Viewing bei der «Grossen Schanze» sei eingegangen, sagt Marc Heeb, Leiter des Polizeiinspektorats. Dieses habe man bewilligt. Doch: «Wir spüren eine gewisse Sensibilisierung und Verunsicherung bei den Veranstaltern, weil die WM in Katar stattfindet. Die Jahreszeit tut ihr übriges», betont Heeb.
Das bestätigt Dionys Widmer, Mediensprecher der Stadtpolizei St. Gallen. «Im Vergleich zu anderen Welt- oder Europameisterschaften sind bei uns viel weniger Gesuche eingegangen. Wir gehen davon aus, dass die Witterung eine grosse Rolle spielt. Es ist nicht gleich angenehm, bei tiefen Temperaturen draussen ein Public Viewing durchzuführen.» Auch in der Ostschweiz stehen keine Zelte für grosse Fanmeilen. Nur zwei Bewilligungen sind laut Widmer ausgestellt worden.
Nichts los ist in Sachen WM-Liveübertragung auch auf öffentlichen Plätzen in Basel. Bis heute sind beim zuständigen Baudepartement keine Anträge eingegangen, womit die Anmeldefristen bis zum WM-Start nicht mehr einzuhalten wären. Der Parlamentsdienst hat zudem keine Kenntnis von Vorstössen betreffend WM-Boykott.
Auch in der Zentralschweiz hat es bislang keine politischen Bestrebungen gegeben, Public Viewings zu verbieten. Bislang seien auch keine Anfragen für solche Anlässe im öffentlichen Raum eingegangen, melden die Städte Luzern und Zug. Man habe keine offizielle Haltung zur WM beschlossen, wolle den Betreibern aber grundsätzlich keine Steine in den Weg legen.
Ist der Boykott von Public Viewings zur Fussball-WM in Katar letztlich reine Symbolpolitik? Der Zürcher Gemeinderat Mischa Schiwow, der im Namen der AL-Fraktion das erwähnte Postulat eingereicht hat, streitet dies nicht ab. Ihm sei bewusst, dass der Vorstoss spät komme und vor allem symbolischen Wert habe, sagte Schiwow im Zürcher Stadtparlament. «Doch wir können, gerade als Sitz der Fifa, nicht einfach nichts sagen.»
Fakt ist: Beim Anpfiff am Sonntag dürften die wenigen Fanzonen, die in der Schweiz dennoch draussen stattfinden, sowieso nur wenige Gäste anlocken. Wegen der tiefen Temperaturen wird wohl so mancher Fan die Wärme seines Wohnzimmers vorziehen.