Mehr Staat oder mehr Markt? Das ist die Frage. Der Ökonom und frühere Preisüberwacher Rudolf Strahm hat sich in den Nullerjahren für die volle Strommarktliberalisierung eingesetzt. Inzwischen hat er umgedacht und beobachtet: «Der Staat ist jetzt plötzlich gefragt und der Markt und die Lenkung über die Marktpreise hat nicht mehr die gleiche Bedeutung.»
Das macht der Sozialdemokrat nicht nur an den Vorschlägen seiner Parteikollegen fest, die am Wochenende für mehr Staatseingriffe geworben haben. Strahm sieht diesen Reflex auch bei den bürgerlichen Kräften, die Staatsgelder für neue Kernkraftwerke in Betracht ziehen.
Zudem stimmen auch Wirtschaftsverbände angesichts der hohen Energiepreise ein ins Lied nach mehr Staat. Und nicht zu vergessen: der Rettungsschirm des Bundesrates für die Stromproduzenten. «Das ist der grösste Beweis, dass der ganze Strommarkt eine Systemrelevanz hat, die mit Marktwirtschaft allein nicht zu bewältigen ist», sagt Strahm.
Intervention als Störfaktor
Hat der Markt also schlicht versagt? Diese Frage geht an den liberalen Thinktank Avenir Suisse und deren Energiespezialisten Patrick Dümmler. «Ich denke nicht, dass es ein Marktversagen ist. Denn die Preise, die wir aktuell am Markt sehen, spiegeln die Knappheit der Energieträger wider.» Wer jetzt staatlich interveniere, störe demnach die Kräfte des Marktes.
Denn diese könnten etwa bewirken, dass sich eine betroffene Firma jetzt dazu entschliesst, eine eigene Fotovoltaikanlage zu installieren und so in Schweizer Strom investiert und von günstigeren Preisen profitiert. Für Dümmler braucht es deshalb nicht mehr Staat, sondern mehr Markt.
Deshalb sagt Energieexperte Dümmler: «Es ist nicht nötig, dass der Staat hier Stützungsmassnahmen einführt, sondern diese Unternehmen müssten strategisch einkaufen, immer wieder mal etwas Strom einkaufen, um insgesamt einen guten Durchschnittspreis zu erzielen.»
Deckel an Bedingungen knüpfen
Anders sieht das Strahm. Einen Preisdeckel kann er sich bei Bedarf vorstellen. Dann möchte er aber den Strompreis an Bedingungen knüpfen. Im Fall von neuen Konzessionen für Kraftwerke oder bei staatlichen Investitionen könnten die Produzenten etwa verpflichtet werden, die Stromversorgung auch bei Engpässen sicherzustellen.
In diesen Tagen sehen wir, dass die gebundenen Kunden besser fahren, weil sie diesen massiven Schwankungen nicht im gleichen Masse ausgesetzt sind.
Unbestritten bleibt: Die Schweiz muss mehr Strom selbst produzieren, neue Anlagen müssen schneller gebaut werden. Das politische Ringen um Lösungen ist in vollem Gang. Weniger im Fokus war bisher der nächste Liberalisierungsschritt, der bald im Parlament zur Diskussion steht. Künftig sollen auch kleine und mittlere Unternehmen sowie Privathaushalte die Wahl haben, ihren Strom auf dem freien Markt einzukaufen oder wie bisher in der Grundversorgung zu bleiben.
Strahm sagt: «In diesen Tagen sehen wir, dass die gebundenen Kunden eigentlich besser fahren, weil sie gerade diesen massiven Schwankungen nicht im gleichen Masse ausgesetzt sind.» Er und Dümmler sind sich aber einig, dass die politischen Zeichen nicht auf Liberalisierung stehen. Auf lange Sicht führen jedoch beide das grössere Ganze an.
Dümmler sagt es so: «Mittel und langfristig ist es der richtige Schritt. Vergessen wir nicht: Es wäre eine der Hausaufgaben, die die Schweiz erledigen muss, um in Zukunft mittel und langfristig mit der EU einen Strommarktabkommen abzuschliessen.» Eine weitere politische Knacknuss, die noch ansteht.