Der jüngste Vorwurf kommt von den Grünen. Letzten Mittwoch verschickte die Partei eine Medienmitteilung, in der sie den Bürgerlichen «undemokratische Verzögerungstaktik» vorwerfen.
Auslöser der geharnischten grünen Reaktion ist der Entscheid des Nationalrats, nicht – oder noch nicht – über die grüne Forderung nach einem Beitritt der Schweiz zur Oligarchen-Taskforce abzustimmen.
Die bürgerlichen Parteien verzögern damit erneut eine für sie heikle Abstimmung bis nach den Wahlen.
In letzter Minute hatte der FDP-Fraktionschef den Ordnungsantrag gestellt, das Anliegen in der zuständigen Kommission zu prüfen. Zu viele Fragen seien noch offen.
Für die Grünen hat das mit den Wahlen zu tun: «Die bürgerlichen Parteien verzögern damit erneut eine für sie heikle Abstimmung bis nach den Wahlen», sagt Grüne-Nationalrätin Franziska Ryser. FDP-Präsident Thierry Burkart bestreitet den Vorwurf, Wahltaktik zu betreiben, umgehend auf X, vormals Twitter, und betont, seine Fraktion hätte geschlossen ja gestimmt zur grünen Forderung, wenn der Ordnungsantrag abgelehnt worden wäre.
Vorwürfe oft von links, ...
Das Muster ist in den Wochen vor den eidgenössischen Wahlen stets dasselbe und offenbart die Nervosität, die dann unter den Parteien herrscht: Die eine Seite wirft der anderen vor, einem Thema aus wahltaktischen Gründen aus dem Weg zu gehen. Die andere weist den Vorwurf ebenso deutlich zurück.
Meist sind es die linken Parteien, welche diesen Vorwurf erheben. Ein Zufall ist das nicht, da sie sich aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Parlament bei Abstimmungen weit häufiger in der Minderheit befinden als die Bürgerlichen. Oft betrifft die Kritik, mutwillig Geschäfte zu verzögern, Entscheide in den vorberatenden Kommissionen des Parlaments. Denn diese bestimmen, wann und wie schnell ein Thema ins Parlament kommt.
... aber auch von rechts
Prominentes Beispiel ist die Kita-Finanzierung. Im März hatte der Nationalrat beschlossen, dass sich der Bund daran beteiligen solle. Kurz vor Beginn der Herbstsession aber beschloss die zuständige Kommission des Ständerats, ein komplett anderes Modell der Kita-Finanzierung zu prüfen.
Damit kommt das brisante Thema erst nach den Wahlen in den Ständerat. Für die grüne Ständerätin und Co-Präsidentin von Alliance F, Maya Graf, ist das ein wahltaktisches Manöver von Mitte-Rechts: «Sie wollen den Familien in diesem Land vor den Wahlen nicht erklären, dass sie gegen die Kita-Mitfinanzierung durch den Bund sind.»
Sie wollen nicht, dass man vor den Wahlen über das spricht, was auf den Strassen passiert.
Mitte-Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger weist den Vorwurf entrüstet zurück: «Ich bin für eine Lösung bei den Kitas, aber sie muss mehrheitsfähig sein.» Die Lösung, die auf dem Tisch liege, sei das aber nicht. Also müsse die Kommission Alternativen prüfen.
Dieselbe Kritik gibt es auch mit umgekehrten Vorzeichen. So wirft SVP-Nationalrat Mauro Tuena Rot-Grün vor, in der Rechtskommission die Behandlung der Verschärfung des Jugendstrafgesetzes auf nach den Wahlen hinausgezögert zu haben: «Sie wollen nicht, dass man vor den Wahlen über das spricht, was auf den Strassen passiert.» Auch in diesem Fall weist die Gegenseite den Vorwurf entrüstet zurück.
Klar ist: Gegenwärtig schielen Politikerinnen und Politiker im Parlament und in den Kommissionen auf die Wahlen. Zweifelsfrei beweisen lassen sich wahltaktische Manöver aber nicht. Denn zugeben wird das niemand – schon gar nicht vor den Wahlen.