Keine Debatten mit Kandidierenden an Schulen zehn Wochen vor den Wahlen. Dieser Entscheid des freisinnigen Waadtländer Bildungsdirektors Frédéric Borloz hat landesweit für Kritik gesorgt. Vor allem von links hagelte es Kritik.
Der gezielte Stimmenfang soll temporär verhindert werden, weil nicht immer alle Kandidierenden zu Wort kommen.
Es sei durchaus wichtig, dass Jugendliche die politischen Debatten kennenlernten, verteidigte Bildungsdirektor Borloz seinen Entscheid Ende August im Kantonsparlament. Es sei keineswegs ein totales Verbot, doch in den besagten zehn Wochen seien viele Kandidierende gezielt auf Stimmenfang. Das müsse verhindert werden, weil an solchen Anlässen nicht immer alle Kandidierenden zu Wort kämen.
Wie und wann sonst?
Professor Claudio Caduff von der Pädagogischen Hochschule Zürich hält den Waadtländer Entscheid für problematisch. Als Autor verschiedener Lehrmittel auch zu politischer Bildung fragt er sich, wann und wie denn sonst Schülerinnen und Schüler die verschiedenen politischen Positionen kennenlernen und sich damit auseinandersetzen können.
«Schülerinnen und Schüler gehen nicht häufig ins Parlament und lesen in der Regel keine Zeitung. Gelebte Politik erlebt man aber nur in solchen Debatten. Das sollten die Lernenden unbesehen vom Zeitpunkt auch erleben können», sagt Caduff.
Politische Bildung hat generell einen schweren Stand in der Schweiz und führt an den Schulen ein Schattendasein.
Politische Bildung habe in den letzten Jahren nicht mehr, sondern eher weniger Gewicht bekommen und friste an den Schulen immer noch ein Schattendasein, merkt er weiter an: «Früher lag der Fokus etwas zu stark auf der Staatskunde. Das hat stark abgenommen, doch andere Aspekte der politischen Bildung werden nicht stärker gewichtet.»
Caduff kommt zum Schluss, dass politische Bildung in der Schweiz generell einen schweren Stand hat. Bei einigen Politikerinnen und Politikern sei sicher auch eine Angst vor politischer Indoktrination an Schulen da: «Heute kommt die Befürchtung eher von bürgerlich-rechter Seite. Vor 40 Jahren befürchtete eher die Linke, der gute staatsbürgerliche Unterricht fördere nur die konservative, patriotische Haltung.»
Es muss endlich klar festgelegt werden, was Lehrpersonen in diesem Fach dürfen und was gefragt ist.
Wie politische Bildung besser an den Schulen verankert werden kann, fragte man sich auch am Schweizer Bildungstag vom Freitag im Berner Kursaal. Die Präsidentin des Lehrerdachverbands LCH, Dagmar Rösler, sieht ein Problem darin, dass der Auftrag der Schule nicht klar ist und was unter politischer Bildung verstanden werden soll.
LCH: politische Bildung fächerübergreifend verankern
Rösler beobachtet zugleich eine gewisse Zurückhaltung in der Lehrerschaft, wenn es um politische Bildung geht – teils aus Angst, sich die Finger zu verbrennen. Für sie ist aber klar: Lehrerinnen und Lehrer sollen im Unterricht ihre Meinung sagen können, etwa, wenn sie danach gefragt werden.
Die Lehrerschaft muss laut Rösler jedoch stets vermitteln, dass es nicht nur eine richtige Meinung gibt, sondern dass alle sich ihre Meinung selber bilden müssen. Um politische Bildung zu verbessern, müsse sie in der Schweiz fächerübergreifend verankert werden, kommt der Lehrerdachverband zum Schluss.