Welche Produkte und Dienstleistungen fallen unter die Sanktionen? Das fragen sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer dieser Tage. Und suchen Hilfe – beispielsweise bei Markus Wermelinger. Er leitet die Exportdienste der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz (IHZ). «Bei vielen Unternehmen ist eine verständliche Unsicherheit da. Die Güterkontrollverordnung des Bundes richtig zu interpretieren und umzusetzen, ist sehr anspruchsvoll für die Exporteure.»
Die Verordnung listet die verbotenen Güter auf: Dampfturbinen, Schweissgeräte, Werkzeugmaschinen und so weiter. Eine detaillierte Verbotsliste, um der russischen Wirtschaft zu schaden. Für die hiesigen Firmen ist sie aber nur bedingt nützlich. «Die Exporteure sind sich gewohnt, ihre Produkte nach den sogenannten Zolltarifnummern einzureihen, und die gehen aus diesen Export-Kontrolllisten nicht hervor», sagt Wermelinger. «Man braucht sehr gute Produktekenntnisse, um diese Listen auch zu verstehen.»
Unternehmen wollen auf Nummer sicher gehen
Daher bleibt Markus Wermelinger von der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz meist nichts anderes übrig, als die Fragenden an die Expertinnen und Experten des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern weiterzuleiten. «Die Unternehmen wollen, zumindest im Moment, auf Nummer sicher gehen. Auf die Gefahr hin, dass man halt nicht liefern kann, dass Aufträge und sogar langjährige Partnerschaften verloren gehen.»
Bereits nach dem Einmarsch der Russen auf die Krim hat die Schweiz sichergestellt, dass die EU-Sanktionen in der Schweiz nicht umgangen werden können.
Will heissen: Manche Unternehmen verzichten lieber auf ein Geschäft, um nicht in den Verdacht zu geraten, gegen Sanktionen zu verstossen. Das beobachtet auch Martin Hirzel, der Direktor des Industrieverbands Swissmem. «Bereits nach dem Einmarsch der Russen auf die Krim hat die Schweiz sichergestellt, dass die EU-Sanktionen in der Schweiz nicht umgangen werden können. Das hat zu einer sehr restriktiven Exportpraxis geführt. Wir waren viel restriktiver als zum Beispiel Deutschland. Es gab keinen Technologie-Transfer mehr.»
Seco wird nur bei konkreten Hinweisen aktiv
Die Schweizer Industrie zeigt sich streng. Kontrollen gibt es aber keine. Aktiv wird das Staatssekretariat für Wirtschaft nur, wenn es Hinweise auf mögliche strafbare Handlungen erhält. Wie viele solche es gab – nach der Krim-Annexion oder wegen der Sanktionen gegen Iran: Das gibt das Seco nicht bekannt. Überall wird betont: Ihr guter Ruf sei den Industriefirmen wichtiger als das eine oder andere Geschäft.
Das bestätigt Wirtschaftsprofessor Reto Föllmi von der Universität St. Gallen. Er hat nach der Krim-Annexion untersucht, ob die Schweiz, die sich damals nicht an den Sanktionen gegen Russland beteiligte, für Umgehungsgeschäfte genutzt wurde. Sein Fazit: «Die Vorkehrungen der Schweiz haben eigentlich funktioniert. Wir haben festgestellt, dass es keine systematischen Umgehungsgeschäfte gab. Es gab keine Evidenz, dass die Massnahmen direkt verletzt wurden.»
Auch bei Banken geht's ums Reputationsrisiko
Reto Föllmi und sein Team hatten die Zollstatistiken analysiert – und nach Auffälligkeiten gesucht, nach veränderten Handelsmustern. Zahlentabellen und Namenslisten durchforsten – das müssen im Moment auch die Schweizer Banken. Auf der Suche nach Vermögenswerten von Personen, die auf der Sanktionsliste gegen Russland stehen.
Die Banken treffen sehr umfangreiche und sorgfältige Abklärungen.
«Die Banken treffen sehr umfangreiche und sorgfältige Abklärungen», versichert Andreas Bärfuss, Sanktionsexperte bei der Schweizerischen Bankiervereinigung. Auch hier wird betont: Der gute Ruf stehe auf dem Spiel, das Reputationsrisiko sei gross. Verdächtige Vermögenswerte und Transaktionen müssen die Banken dem Seco melden.
Wie viele verdächtige Gelder inzwischen gemeldet und wie viele blockiert wurden – auch das erfährt man nicht. Die Verantwortung, dass die Sanktionen eingehalten werden, liegt bei den Banken – wie in der Industrie – bei den einzelnen Unternehmen.