Eigentlich ist es ganz einfach: Der Ölpreis und die Weltwirtschaft entwickeln sich in etwa parallel. Geht es der Wirtschaft gut, braucht sie viel Öl. Entsprechend steigt der Preis. Schwächelt die Wirtschaft hingegen, schwächelt in der Regel auch der Ölpreis.
Allerdings: Mit Blick auf die letzten Monate sagt Energiefachmann Christoph Rühl, der an der Columbia Universität in New York forscht: «Es gibt auch viele historische Episoden – und im Moment sind wir in einer solchen –, bei denen es auf der Angebotsseite keine flexible Reaktion gibt, sondern politisch kontrollierte Produktionsmengen.»
Entscheide am Verhandlungstisch
Damit spricht Rühl vor allem die Opec an. Die Organisation erdölexportierender Länder legt bekanntlich ihre Fördermengen alle paar Wochen am Verhandlungstisch fest, lässt also nicht einfach Angebot und Nachfrage spielen. So ist er denn auch überzeugt, dass vor allem politische Faktoren den Ölpreis jüngst haben sinken lassen.
Er spricht von Sicherheitsventilen. «Damit meine ich Dinge, die man über politische Beschlüsse in der Praxis aktivieren kann.» Etwa wo mehr Öl produziert werden könne, so Rühl. So könnte zum Beispiel die Opec auch jederzeit entscheiden, ihre noch ungenutzten Ölreserven anzuzapfen, etwa in Saudi-Arabien oder den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Oder die USA könnten entscheiden, wieder mehr Schieferöl zu fördern. Ein anderes Sicherheitsventil hat die US-Regierung schon geöffnet. Sie hat strategische Erdölreserven freigegeben, so viele wie noch nie. Das hat das Angebot erhöht und laut Rühl den Ölpreis zusätzlich entlastet.
Der beste Schutz vor steigenden Preisen sind steigende Preise.
Burkhard Varnholt hingegen, der Investment-Chef der Credit Suisse Schweiz, führt den jüngsten Preisrückgang beim Öl vor allem auf einen anderen Grund zurück. «Plausibler scheint mir der uralte Grundsatz, den man an den Rohstoffmärkten immer wieder hört, der heisst: ‹Der beste Schutz vor steigenden Preisen sind steigende Preise›.» Oder anders formuliert: Wenn die Preise steigen, sinkt automatisch die Nachfrage. Und dadurch fallen mit der Zeit dann auch wieder die Preise.
Spekulationen um iranisches Öl
Beim jüngsten Rückgang ist aber noch ein weiterer Punkt wichtig, darin sind sich beide Experten einig. «Die Spekulation darüber, dass man sich mit dem Iran wieder einigen könnte und ihn wieder in den Klub der Erdölexporteure aufnimmt, bewegt den Erdölpreis jeden Tag», sagt Varnholt. Der Iran ist derzeit mit Sanktionen belegt und weitgehend vom Weltmarkt ausgeschlossen. Die USA und der Westen wollen das ändern.
Denn: Der Iran gehört zu den Ländern mit den grössten Ölreserven. «Wenn der Iran tatsächlich seine Reserven wieder verschiffen könnte, so wäre das die gegenwärtig grösste denkbare Steigerung des Erdölangebotes durch ein Land allein.» Kein Wunder, hat nur schon die Aussicht darauf die Spekulationen angeheizt und den Ölpreis purzeln lassen. Das zeigt: Der Ölpreis hängt momentan nicht primär von der Weltwirtschaft ab, sondern mindestens so sehr von politischen Entscheiden.