Worum geht es? Noch nie kamen so viele Touristinnen und Touristen nach Italien wie im vergangenen Jahr. Unser südliches Nachbarland verzeichnete mit rund 450 Millionen Übernachtungen ein Rekordhoch, wie die jetzt veröffentlichten Zahlen der Römer Statistikbehörde zeigen. Besonders grosse Wachstumsraten wiesen die Regionen Latium in der Landesmitte mit der Hauptstadt Rom und die Lombardei im Norden mit der Metropole Mailand auf.
Krise überwunden? Italien steht für eine allgemein in Europa festgestellte Entwicklung. Nach dem massiven Einbruch infolge der Corona-Pandemie in den Jahren 2020/21 hat sich die europäische Tourismusindustrie erholt. «Ähnliche Zuwachsraten wie Italien verzeichnen auch Spanien oder die Türkei», stellt der Tourismusforscher Jürgen Schmude fest. Die Pandemie sei offensichtlich aus den Köpfen der Menschen verschwunden, sie hätten wieder das starke Bedürfnis, ihre Ferien in fernen Ländern zu verbringen.
Es braucht krasse und langfristige, dauerhafte Ereignisse, um das Reiseverhalten zu ändern.
Business as usual? «Wir sind in den Zustand von vor der Pandemie zurückgekehrt, was das Reiseverhalten angeht», so Schmude. Damit habe sich auch die Hoffnung nicht erfüllt, dass das Reisen nach der Pandemie womöglich bewusster und vor allem nachhaltiger angegangen werde. Inzwischen werde fast wieder so viel geflogen wie vor der Pandemie. So starteten und landeten etwa am Flughafen Zürich im Mai 2024 nur zwei Prozent weniger Flugzeuge als im Mai 2019 – und das trotz deutlich höherer Flugpreise.
Verhalten ändern? Damit sich das Reiseverhalten grundsätzlich ändert – dass zum Beispiel tatsächlich viel weniger geflogen würde, weil Fliegen schädlich ist fürs Klima –, bräuchte es «Ereignisse, die dauerhaft stattfinden», wie Schmude sich ausdrückt. Denn grundsätzlich werde einmal angelerntes touristisches Verhalten sehr lange ausgeübt. «Es braucht deshalb krasse und langfristige, dauerhafte Ereignisse, um das Reiseverhalten zu ändern.»
Die Grenze ist dann erreicht, wenn sich der eine Tourist durch andere Touristen gestört fühlt.
Zu viele Touristen? Overtourism war schon vor der Pandemie ein Problem, damals vor allem in gewissen Städten. Inzwischen würden aber auch gewisse ländliche Gebiete von Touristen geradezu überflutet, so Schmude. Kritisch werde es etwa dann, wenn sich die Einheimischen wegen des überbordenden Tourismus zum Beispiel das Wohnen nicht mehr leisten können. Zudem könne auch die sogenannte perzeptuelle Tragfähigkeit überschritten werden: «Die Grenze ist dann erreicht, wenn sich auch der Tourist selber durch andere Touristen gestört fühlt.»