Das Institut für Technologie-Management der Universität Sankt Gallen hat untersucht, wie es der Schweizer Industrie geht. Wirtschaftsprofessor Thomas Friedli hat die Untersuchung ausgewertet.
SRF News: Wie steht es um die hiesigen Industriebetriebe?
Thomas Friedli: Die Konjunktur hat sich erholt. Viele Unternehmen haben mehr zu tun, als sie leisten können. Aber für uns Forscher ist auch wichtig, ob die Unternehmen Gewinne machen und ob sie wieder investieren können. Und da sieht es nicht mehr ganz so positiv aus.
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Ihr Fazit lautet demnach: Die Industrie hat die Krise einigermassen überwunden, aber die Margen sind noch zu tief, um in die Zukunft investieren zu können?
Das ist so. Es stellt sich auch die Frage: welche Krise? Die Schweizer Industrie steht seit 2008/2009 in einem Dauerstress mit Finanzschulden, Eurokrise, Aufgabe des Mindestkurses gegenüber dem Euro. Wann hat die Schweizer Industrie die Chance gehabt, sich zu erholen?
Von der Frankenkrise spricht niemand mehr, es ist nur noch von der Coronakrise die Rede.
Das ist typisch für die Schweizer Industrie. Sie passt sich relativ schnell an. Das hat mit der Schweiz insgesamt zu tun. Sie bietet Rahmenbedingungen mit einer gewissen Flexibilität. Man kann sich schneller anpassen.
Auf Basis der Lieferengpässe überlegt man sich, ob man noch flexibler agieren könnte, um solchen Schocks weniger ausgesetzt zu sein.
Sehen Sie spezifische Faktoren, wie die Coronakrise die Schweizer Industrie verändert hat?
Ja, viele haben auf Kurzarbeit zurückgegriffen. Das ist ein gutes Instrument, um das Personal halten zu können. Aber Kurzarbeit stört alle Routinen. Es ist keiner mehr da, wenn er üblicherweise da war. Man muss zuerst wieder in die höhere Produktivität zurückkommen. Gleichzeitig werden viele Sachen überprüft: Auf Basis der Lieferengpässe überlegt man sich, ob man noch flexibler agieren könnte, um solchen Schocks weniger ausgesetzt zu sein.
Was unternehmen die Unternehmen, um nicht mehr so abhängig von der Krisenanfälligkeit der Lieferkette zu sein?
Man hat begonnen, über die Lager zu agieren, nicht unbedingt nur über die eigenen. Auch bei den Lieferanten haben Unternehmen Forderungen gestellt. Man überlegt sich, ob man die Lieferketten verkürzen kann. Muss ein Produktionsstandort in einem Niedrigkosten-Land sein, vor allem, wenn nicht dieser Markt nicht bedient wird? Da laufen im Moment viele Überlegungen.
Können Sie konkreter werden?
Wieso hat ein Schweizer Unternehmen in Ausland Produktionsstandorte? Die zwei Hauptmotive sind die Kosten und der Marktzugang. Dort, wo ein Auslandsstandort errichtetet wurde, um den Zugang zu diesem Markt zu haben, drängt sich eine Rückverlagerung nicht auf. Aber wenn der Standort im Ausland wirklich aus Kostengründen gebildet wurde, nützt es auch nichts mehr, wenn ich nicht lieferfähig bin. Es gibt Unternehmen, die ihre Produktion zurückverlegen, entweder direkt in die Schweiz oder ins benachbarte Ausland.
Es ist aber nicht einfach, denn viele dieser Verlagerungen sind nicht so einfach reversibel.
Nähe kommt plötzlich vor der Kostenfrage? Was sagt die Umfrage?
Ja, es sind rund 5 Prozent der Unternehmen, die konkret schon solche Projekte am Laufen haben. Überprüft wird es bei vielen mehr. Es ist aber nicht einfach, denn viele dieser Verlagerungen sind nicht so einfach reversibel. Je nachdem, wie umfassend sie waren, fehlen die Lieferanten der Lieferanten.
Ist das das Ende der Globalisierung, der weltweiten Arbeitsteilung?
Aus meiner Sicht: Nein. Schon nur wegen der globalen Marktzugänge wird die Globalisierung weitergehen. Das ist wichtig für die Schweiz, weil wenn ich nicht mehr diesen globalen Markt habe, dann kann ich auch hier nicht mehr wettbewerbsfähig sein.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.