Eine Milliarde Franken – so viel möchte eine bürgerliche Allianz im Nationalrat bei der Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden vier Jahren sparen. Das stösst bei den Schweizer Hilfswerken auf grosses Unverständnis. NGOs sprechen von einem «Kahlschlag» und protestieren im Rahmen eines «Solidaritäts-Alarm» gegen die drohenden Kürzungen.
Helvetas, die grösste Schweizer Entwicklungsorganisation, erinnert daran, dass der Bund bereits 1.5 Milliarden Franken für den Wiederaufbau der Ukraine vom ordentlichen Budget umverteilt. Dieses Geld wiederum fehle für diverse Projekte – namentlich auf dem afrikanischen Kontinent – sagt Helvetas-Direktor Melchior Lengsfeld: «Zusätzliche Kürzungen kämen einem Kahlschlag der Schweizer Entwicklungszusammenarbeit gleich und wären absolut dramatisch für die Menschen im globalen Süden, die auf diese Hilfe angewiesen sind.»
Noch im Sommer hatte der Bundesrat ein Budget für die internationale Zusammenarbeit von knapp 11.3 Milliarden Franken veranschlagt. Und er hätte die Mittel für die Armee gerne anderswo beschafft. Doch die Budgethoheit liegt beim Parlament.
Zieht sich die Schweiz und der Westen zurück, dann springen China oder Russland in diese Lücke.
Im Zuge der Budgetkürzung und der sehr kurzfristigen Umsetzung – bereits ab Januar könnte weniger Geld fliessen – droht nun diversen Hilfsprojekten das Aus. Konkret: Ein Wasserprojekt der Helvetas in Mali ist gefährdet.
Oder: Ein Berufsbildungsprojekt in Äthiopien, das es jungen Menschen ermögliche, den Einstieg ins Berufsleben zu finden, wie Helvetas-Direktor Lengsfeld sagt. «Wenn wir dieses Projekt stoppen müssten, würde das bedeutet, dass viele junge Menschen weniger Perspektiven vor Ort haben.» Und weniger Perspektiven vor Ort führten letztlich auch zu grösseren Fluchtbewegungen. Genau dies könne nicht im sicherheitspolitischen Interesse des Landes sein.
Die Kürzungen müssen gut erklärt werden
Kommt hinzu: Die Schweiz stelle ihren Ruf als verlässliche Partnerin in der Entwicklungszusammenarbeit aufs Spiel. So sieht es Philippe Schneuwly, CEO von Swisscontact – einem Schweizer Hilfswerk, das sich in über 30 Ländern in der Berufsbildung engagiert.
Das Schweizer Engagement gelte bei den internationalen Partnern als zuverlässig, neutral und qualitativ hochstehend: «Wir haben keine geopolitischen Präferenzen. Das wird sehr geschätzt. Wenn jetzt Projekte abgebrochen werden, die man langfristig vor Ort plant, dann muss man das gut erklären können.» Gerade dann, wenn ein reiches Land wie die Schweiz ihre Beiträge kürzt, betont Schneuwly.
Ob letztlich Entwicklungsprojekte eingestampft werden müssen, in welchem Umfang der Etat für die humanitäre Hilfe wirklich schrumpft oder ob es gar zu Entlassungen bei den NGOs kommt: Die Folgen der Budgetkürzungen für die Entwicklungszusammenarbeit sind zum jetzigen Zeitpunkt kaum absehbar. Sicher ist: Die Verunsicherung ist gross.
Entwicklungspolitik muss nachhaltig sein
Viele Hilfswerke sind irritiert, weshalb gerade die internationale Zusammenarbeit gegen die Armee ausgespielt wird. Helvetas-Direktor Melchior Lengsfeld warnt vor einem Rückzug auf Raten der humanitären Schweiz aus Krisenregionen: «Zieht sich die Schweiz und der Westen zurück, dann springen China oder Russland in diese Lücke. Das kann nicht im Interesse der Schweiz sein.»