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Blitze – heiss und gefährlich
Aus Wissenschaftsmagazin vom 20.07.2024. Bild: Keystone/ANTHONY ANEX
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Chemische Evolution Haben Blitze den Motor des Lebens gezündet?

Blitze können Mensch und Tiere töten. Doch vor Milliarden Jahren hat dieser Starkstrom der Natur womöglich das erste Leben auf der Erde gezündet.

Vor 3.8 Milliarden Jahren sind auf unserem Planeten erste Lebewesen entstanden, unscheinbare einzellige Mikroben. Damals bedeckten unwirtliche Felslandschaften die Erdoberfläche. An den Ufern plätscherte Ozeanwasser. Die Atmosphäre enthielt noch keinen Sauerstoff, aber viel CO₂ sowie Methan und andere Gase.

Auch Blitze sind unter solchen Bedingungen möglich. Und mehr noch: «Blitze könnten dazu beigetragen haben, dass auf der Erde damals Leben entstand», sagt Astrophysikerin Susanne Wampfler von der Universität Bern.

Vom Molekül zum Leben

Vorstellen kann man sich dies so: Die chemischen Stoffe der frühen Erde reagierten miteinander. Mit der Zeit bildeten sich komplexere Moleküle bis hin zu den sogenannten Biomolekülen. Zu diesen zählt die Berner Forscherin zum Beispiel «Kohlenhydrate, die einem Organismus Energie liefern, aber auch Fette, die Zellwände aufbauen können, oder Bestandteile von RNA und DNA, die Erbinformationen übertragen.». Diese Biomoleküle könnten sich irgendwann zu lebenden Zellen verbunden haben.

Blitze haben diesen Prozess vielleicht gezündet. «Wenn auch nicht wie bei Frankenstein», sagt Bettina Scheu von der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Doktor Frankenstein lässt grüssen

In der Verfilmung von 1931 fügt der unheimliche Doktor zunächst gestohlene Leichenteile zusammen, und am Ende erweckt ein Blitz das Monster zum Leben. Bei der Entstehung des frühsten Lebens auf der Erde hingegen war es eher umgekehrt. Blitze kamen wohl nicht am Schluss, sondern am Anfang «der Lebenswerdung» ins Spiel, indem sie wichtige chemische Reaktionen möglich machten.

Blitze über den Häusern einer Stadt.
Legende: Welche Rolle spielten Blitze bei der Entstehung des Lebens? Genau das untersucht die Forschungsgruppe rund um Vulkanologin Bettina Scheu. IMAGO/Pond5 Images

Nehmen wir zum Beispiel Phosphor, ein Element, das für die Entstehung von Leben zwingend ist. Vor Milliarden Jahren war Phosphor auf der Erde zwar weit verbreitet. Doch er war eingeschlossen in unlöslichen Mineralien im Gestein. Es sei denn, ein Blitz schlug ein. «Es entsteht dann eine richtige Blitzröhre im Gestein», sagt Bettina Scheu. «Das Mineral wird dort aufgeschmolzen und der Phosphor verändert sich: Jetzt kann er in Wasser gelöst werden und steht für Reaktionen zur Verfügung.»

Dass das geht, konnte die Vulkanologin mit Kollegen in einem Hochspannungslabor mit künstlich erzeugten Blitzen und phosphorhaltigem Gestein beweisen. Die Forschungsgruppe hat auch berechnet, dass bei häufiger Blitzaktivität unter frühen Erdbedingungen jährlich bis zu 10 Tonnen hochreaktiver Phosphor entstanden sein könnte.

Die «chemische Evolution» im Labor

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Mit einer verblüffenden Idee brachten Stanley Milley und Harold Urey vor rund 70 Jahren die Welt zum Staunen. Im Labor stellten sie aus einem chemischen Cocktail eine Art Ursuppe her, aus der das Leben entstanden sein könnte.

Die zwei US-Forscher mischten die damals für die Uratmosphäre angenommenen Gase mit Wasserdampf und liessen künstliche Blitze durch ihre Anlage hindurchzucken. Die Blitze sollten die Gase aufspalten und reaktiv machen. Tatsächlich entstanden nach einer Woche aus den anorganischen Ausgangsstoffen biologische Verbindungen wie Aminosäuren.

Dieses Experiment gilt heute zwar als veraltet. Es inspiriert Forschende aber immer noch zu ähnlichen Versuchen. Blitze werden dabei vermehrt auch in Gesteinen untersucht. Nicht alle Forscherinnen und Forscher denken jedoch, es brauche Blitze als Treiber der chemischen Evolution. Auch UV-Licht oder Meteoriten können neue chemische Reaktionen ermöglichen.

Blitze liefern also eine Antwort auf die grosse Frage, wie lebenswichtige Stoffe wie eben Phosphor in die Biomoleküle reingekommen sein könnten. Die Biomoleküle, diese Bausteine des Lebens, könne man heute im Labor einzeln bauen, sagt Bettina Scheu. Wo es aber noch hapert: «Wir können das Zusammenspiel noch nicht verstehen – wie alles zusammen abläuft.»

Aus Einzelteilen ein lebendes Ganzes schaffen – da haben Phantasiegestalten wie Doktor Frankenstein also weiterhin die Nase vorn...

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