Eine Oper ohne Orchester, ein Titan mit Tiefgang und Nemos Hits «auf klassisch». Das sind die Klassik-Highlights 2024:
Der Unvergleichbare
Biografie über einen Titanen: Lange musste man warten auf die erste Biografie über diesen grossen Schweizer Komponisten. Klaus Huber gehört zum Olymp der hiesigen Musikgeschichte. Sein Werk und Wirken strahlen weit über die Landesgrenzen und über seinen Tod im Jahr 2017 hinaus.
Die Musikwissenschaftlerin Corinne Holtz hat fünf Jahre lang in akribischer Kleinarbeit nach bislang unbekannten Quellen gesucht. Und sie ist fündig geworden: Alte Postkarten aus Hubers Kindheit hat sie etwa gefunden, sie sprach mit einem der Söhne des Komponisten sowie mit seiner letzten Ehefrau, der Komponistin Younghi Pagh-Paan.
Diese Quellen erlauben es Holtz, sich in die Persönlichkeit Hubers einzufühlen und ihn in sogenannten Selbstgesprächen fiktiv selbst sprechen zu lassen. So macht sie ihn nahbarer. Höchst aufschlussreich sind auch die Kapitel über die Wechselwirkung und Verquickung von Leben, Lieben und Werk Hubers, eines politisch empfindenden Menschen, der sich auch im hohen Alter noch mit für ihn neuen Musikstilen befasste. (Moritz Weber)
Die Überraschung
Nemo Goes Symphonic! Anstelle eines Drum-and-Bass-Beats werden die Cellos gezupft, anstatt Elektronik erklingt ein Streicherwirbel – so hat man den Song «The Code» noch nie gehört! Nach dem Schweizer Sieg beim diesjährigen ESC bringt Nemo im August zusammen mit dem Sinfonieorchester Biel Solothurn die grossen Nemo-Hits auch «auf klassisch» auf die Bühne.
Das funktioniert wunderbar: Nemos Pop-Hits entzücken in der Orchesterversion das durchmischte Publikum und in sanftem Falsett wagt sich Nemo sogar an eine klassische Arie. (Florence Baeriswyl)
Der Begeisternde
Liebesgesang – G. F. Haas in Bern: Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas hat im Mai dieses Jahres sein neuestes Musiktheater «Liebesgesang» uraufgeführt. Mit nur zwei Stimmen im Dialog – ganz ohne Orchester und einem spärlichen, aber interessanten Bühnensetting lässt das Stück intimste musikalische Momente zu, ohne den Gestus der Oper zu verlieren. Für einmal war die Bühne des Stadttheaters Bern in Rängen bestuhlt, denn gespielt wurde im ausgebauten Orchestergraben und das Publikum schaute senkrecht herab auf das Geschehen.
Im weissen sterilen Graben, der an einen ausgelassenen Pool erinnert, sitzt der Ehemann schwerkrank und kauernd, ausgestellt wie ein Zootier. Seine Ehefrau, die nichts von seiner Krankheit wusste, steigt zu ihm aus dem Publikum herab. Hier startet ihr gemeinsamer Acapella-Liebesgesang, welcher in 90 Minuten die komplexe Verstrickung von Liebe, Scham und Krankheit behandelt. Die Mezzosopranistin Claude Eichenberger und der Bariton Robin Adams verloren während des ganzen Stücks keine Sekunde die Aufmerksamkeit der Zuhörenden und begeisterten auf allen Ebenen. (Luca Koch)
Die Enttäuschung
Jon Batiste spielt Beethoven: Mit dem Album «Beethoven Blues» greift der amerikanische Jazzpianist Jon Batiste nach den Sternen. Die Erwartungen an den fünffachen Grammy-Gewinner waren hoch. Entsprechend gross die Enttäuschung: Es ist ein Sammelsurium von Beethovens populärsten Melodien wie «Für Elise», der «5. Sinfonie» oder der «Mondscheinsonate».
Es fehlt aber das übergreifende Konzept. Batiste beweist zwar, wie virtuos er diese Melodien in diverse Jazz-Stile verflechten kann. Viel mehr steckt aber nicht dahinter. Fazit: lauwarm. (Joseba Zbinden)