Ein später Preis, eine wertvolle Wiederentdeckung und eine herbe Enttäuschung: Das war das Literaturjahr 2024.
Die Highlights des Jahres
Höchste Lorbeeren für Klaus Merz – endlich! Verdient hätte der 79-jährige Dichter Klaus Merz den «Grand Prix Literatur» schon längst – für seine meisterhafte Lyrik und auch Prosawerke wie «Jakob schläft», in denen der Aargauer fortsetzt, was er auch in seinen Gedichten so meisterhaft beherrscht: Stoffe sprachlich verdichten und auf den innersten Kern «eindampfen».
In der Tat gelingt es Klaus Merz immer wieder, mit einem Minimum an Wörtern, eine Szenerie in Sprache zu fassen. Oder die Frage nach den Möglichkeiten und Beschränkungen des menschlichen Strebens zu stellen. Oder nach der Vergänglichkeit. Oder dem Sinn des Lebens. Der «Grand Prix Literatur» bot 2024 Leserinnen und Lesern die Anregung, sich in Klaus Merz Werke zu vertiefen – und dabei Literatur vom Feinsten zu erleben. (Felix Münger)
Eine Wiederentdeckung aus den 1960er-Jahren: Die US-amerikanische Autorin Diane Oliver war erst 22 Jahre alt, als sie bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Hinterlassen hat sie unter anderem eine grossartige Geschichtensammlung, die wiederentdeckt wurde und dieses Jahr auch auf Deutsch erschienen ist.
«Nachbarn» heisst sie, stammt aus den 60er-Jahren und zeugt von viel Lebensweisheit. Die Geschichten spielen in den USA in der Zeit der Bürgerrechtsbewegung. Rassismus ist das zentrale Thema, verbunden mit der Frage: Ist das, was gut ist für die Gesellschaft auch gut für das Individuum? In einer Geschichte geht es um eine Familie, die sich überlegen muss, ob es richtig ist, den kleinen Sohn als ersten Schwarzen an eine weisse Schule zu schicken.
Olivers präzise Beobachtungen haben historischen, dokumentarischen Charakter. Oft nimmt sie Bezug auf tatsächliche Ereignisse und bietet Perspektiven, die man in den Zeitungen der 1960er-Jahre nicht findet. Ihre zentrale Frage, wieweit das individuelle Schicksal prägend ist für die Gesellschaft, ist zeitlos. Erstaunlich, wie facettenreich und lebensklug die damals erst zwanzigjährige Autorin darüber geschrieben hat. Und wie empathisch. (Britta Spichiger)
Die Überraschung des Jahres
Ein Mundart-Roman wird für den Schweizer Buchpreis nominiert: Dass ein in Mundart verfasster Roman für den Schweizer Buchpreis nominiert wird, passiert selten. In diesem Jahr ist das dem Luzerner Autor und Musiker Béla Rothenbühler mit «Polifon Pervers» gelungen. Vor ihm haben das lediglich Guy Krneta («Unger üs», 2014) und Pedro Lenz («Der Goalie bin ig», 2010) geschafft.
Den Buchpreis gewonnen hat Rothenbühler am Ende nicht. Dennoch hat die Nominierung seinem Roman, einer scharfsinnigen Satire auf den Schweizer Kulturbetrieb, deutlich mehr Aufmerksamkeit gebracht, als der Dialektliteratur normalerweise zuteilwird. (Katja Schönherr)
Der Flop des Jahres
Sibylle Berg schreibt Gedichte: Ach, wie gross waren die Erwartungen an Sibylle Bergs ersten Gedichtband, der 2024 unter dem Titel «Try Praying» erschien. Schliesslich zählt sie zu den erfolgreichsten Autorinnen des Landes. Aber gross war die Enttäuschung bei der Lektüre: Die bös-grotesken Texte wirken oft bemüht und gleichen Kinderversen, die sich selbst zu ernst nehmen.
Der Versuch, existenzielle Erfahrungen mit Ironie zu brechen, geht immer wieder gründlich schief – und verliert sich zu oft in platter Banalität. Sibylle Bergs Gedichtband zeigt, dass die gefeierte Prosaistin und Dramaturgin als Lyrikerin noch Luft nach oben hat. (Felix Münger)