Israel schaltet zwei Anführer von Hamas und Hisbollah aus. Im Nahen Osten brodelt es wie lange nicht. Für Benjamin Netanjahu sind die Tötungen aber ein Befreiungsschlag, wie Nahost-Experte Daniel Gerlach erklärt. Denn der israelische Premier kann sich als Verteidiger Israels feiern lassen – und die Probleme an der Heimatfront wegwischen.
SRF News: Welches Signal sendet Israel mit den Angriffen aus?
Daniel Gerlach: Die Freigabe für solche Angriffe muss letztendlich Netanjahu geben. Für ihn sind solche Schläge ein starkes politisches Signal. Er zeigt der arabischen Welt, dass sich Israel vor nichts fürchtet und bereit ist, überall zuzuschlagen. In Israel glaubt man, dass die Nachbarn nur diese Botschaft verstehen.
Die Kombination solcher Schläge lässt sich aber niemals planen. Die israelischen Nachrichtendienste können dies als Aufklärungserfolg verbuchen. Im Fall von Hamas-Anführer Hanija konnte man davon ausgehen, dass er an der Amtseinführung des iranischen Präsidenten dabei sein würde. Im Fall des Hisbollah-Kommandanten Shukr in Beirut wartete man auf die Gelegenheit und hat dann zugeschlagen.
Was bedeuten die Angriffe innenpolitisch für Netanjahus Regierung?
Netanjahu ist soeben aus Washington zurückgekehrt. Dort hat er zumindest den republikanischen Flügel im Kongress wieder auf sich eingeschworen. In Israel wird er aber heftig kritisiert. Unter anderem, weil er die Befreiung der israelischen Geiseln aus Gaza überhaupt nicht mehr vorantreibt. Nach meiner Einschätzung hat er dies aufgegeben. Nun hat die demokratische Führung unter US-Präsident Joe Biden gesagt, dass die USA keine Eskalation im Nahen Osten möchten. Sollte Israel aber angegriffen werden, stünden sie unverbrüchlich an seiner Seite. Diese Worte von Verteidigungsminister Lloyd Austin sind eine Motivation für Netanjahu, im gleichen Stil weiterzumachen.
Die Probleme häufen sich für Netanjahu – mit solchen Aktionen kann er sie aber wieder vom Tisch wischen.
Er hat grosse innenpolitische Probleme. In den letzten Tagen wurde aufgedeckt, dass israelische Soldaten palästinensische Gefangene gefoltert haben sollen. Rechtsgerichtete und rechtsextreme Kräfte stürmten zwei Militärbasen, nachdem die Militärpolizei neun Soldaten abgeführt hatte. Die Probleme häufen sich für Netanjahu – mit solchen Aktionen kann er sie aber wieder vom Tisch wischen. Er kann sich damit als Verteidiger Israels darstellen.
Der iranische Revolutionsführer Ajatollah Ali Chamenei hat Israel mit Vergeltung gedroht. Die Hamas liess verlauten, die Tötung Hanijas führe den Kampf in eine neue Dimension. Mit welchen Risiken ist das für Israel verbunden?
Die Hamas hat nicht mehr viel, womit sie drohen kann. Letztendlich haben die Hamas-Führer damit gerechnet, dass sie irgendwann von den Israeli angegriffen werden. Entscheidend wird sein, wie sich Iran und die Hisbollah verhalten. Die Führung in Teheran war zuletzt bestrebt, eine gesichtswahrende Lösung für das Regime zu finden. Sie wollte wieder verstärkt auf Deeskalation und Dialog setzen.
Über das Scheitern der amerikanischen Nahostpolitik kann sich niemand in der Region freuen.
Iran hat auch teils erfolgreich mit den Amerikanern verhandelt und ihnen erstmals eine konstruktive diplomatische Rolle zur Beendigung des Kriegs in Gaza zugewiesen. Selbst die Hisbollah hat Washington darauf hingewiesen, dass sie die Waffen schweigen lassen würden, wenn die Amerikaner Israel dazu zwingen würden, den furchtbaren Krieg in Gaza zu beenden. Das ist der US-Regierung nicht gelungen. Über dieses Scheitern der amerikanischen Nahostpolitik kann sich niemand in der Region freuen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.