Seit der Terrorattacke der Hamas am 7. Oktober 2023 führt Israel Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen. Die Situation für die Zivilbevölkerung in Gaza ist sehr schwierig, noch schwieriger für Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Hilfsorganisation Handicap International kümmert sich besonders um diese Menschen. Danila Zizi ist die Verantwortliche der Organisation für den Gazastreifen.
SRF News: Wie ist die Situation der Menschen und Helferinnen und Helfer?
Danila Zizi: Die Situation ist katastrophal. Die israelische Bombardierung hält momentan speziell in Khan Yunis an. Derzeit gibt es mehr als 1.5 Millionen Binnenvertriebene in Gaza, Hunderttausende wurden mehrfach vertrieben. Sie alle gruppieren sich im Süden, in Rafah. Wir wissen, dass nicht genügend Unterkünfte zur Verfügung stehen. Aber nicht nur Notunterkünfte, auch die Spitäler sind überfordert. Die Zahl der Lastwagen – und damit die humanitäre Hilfe – ist immer noch unzureichend. Es gibt nicht genug Lebensmittel oder Wasser für alle im Süden. Die Unicef hat vor kurzem Fälle von Unterernährung und schweren Erkrankungen gemeldet. Bei neun Prozent der Untersuchten wurde eine schwere Unterernährung festgestellt.
Menschen mit Beeinträchtigungen sind viel stärker gefährdet, weil sie nicht fliehen können, wenn es in der Nähe Beschuss gibt.
Wie kann Handicap International dort noch helfen?
Die Situation von Menschen mit Behinderungen ist besonders besorgniserregend. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung nur begrenzte Möglichkeiten haben, Evakuierungsanordnungen zu befolgen. Mehrere Kilometer zu Fuss zu gehen, um einen Unterschlupf zu erreichen, ist nahezu unmöglich. Wir wissen von Familien, die sich entscheiden mussten, ob sie in ihrem Haus bleiben und den Tod riskieren, oder ob sie ihre behinderten Angehörigen Einrichtungen wie Spitälern, Moscheen oder nahegelegene Unterkünften anvertrauen. Es ist eine Tragödie innerhalb der Tragödie. Menschen mit Beeinträchtigungen sind viel stärker gefährdet, weil sie nicht fliehen können, wenn es in der Nähe Beschuss gibt.
Unsere Organisation versucht, sie zu erfassen. Unser Team prüft derzeit, wie viele Menschen mit Behinderungen in den ausgewiesenen Unterkünften leben und versucht, ihnen so viel Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen. Es geht vor allem um Ausrüstungen für eine menschenwürdige Unterbringung, um frühe Rehabilitationsmassnahmen und psychologische Hilfe.
Unser erster LKW-Konvoi mit dringenden Hilfsgütern brauchte drei Wochen, um in den Gazastreifen fahren zu können.
Wie kann Handicap International den Mitarbeitenden die nötigen Materialien zur Verfügung stellen?
Das ist ein langwieriger Prozess. Wir haben ein voll funktionsfähiges Büro in Kairo, das uns unterstützt, Hilfsmittel und Materialien zu kaufen, die wir dann nach Gaza importieren. Der gesamte Prozess ist in verschiedene Abschnitte unterteilt, von der Bestellung bis zum Lotsen und zur Organisation der Lastwagen, die mehrere Kontrollverfahren durchlaufen. Sie fahren zuerst nach Al-Arisch (eine Ortschaft in Ägypten, Anm. der Redaktion), dann weiter nach Nitzana (Ortschaft in Israel, Anm. der Red.), wo sie von Israel kontrolliert werden und dann hinauf nach Rafah, wo sie sich in die Warteschlange einreihen müssen. Sie warten auf eine Genehmigung, dass sie zu den Kontrollstellen fahren können und dann auf die Erlaubnis, in den Gazastreifen einzufahren.
Unser erster LKW-Konvoi mit dringenden Hilfsgütern brauchte drei Wochen, um in den Gazastreifen fahren zu können. Der Kontrollprozess muss verkürzt werden. Wir haben ein ganzes Logistikteam, das sich täglich nur mit der Überfahrt von Lastwagen befasst.
Das Gespräch führte Nicolà Bär.