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«Dark Tourism» Schweizer macht Ferien in Syrien – trotz Reisewarnung des Bundes

Drei Monate nach dem Sturz des Assad-Regimes reisen wieder erste Touristinnen und Touristen ins Land – darunter auch ein Schweizer.

Auf dem grossen Basar von Damaskus fällt Jürg Reichel auf wie der sprichwörtliche «bunte Hund»: Der 75-jährige pensionierte Hausarzt ist vor Kurzem spontan via Libanon nach Syrien gereist – und gehört damit zu den ersten ausländischen Touristen im Land.

Mann fotografiert Marktstände in einer Stadtstrasse.
Legende: Jürg Reichel zieht auf dem grossen Basar von Damaskus Blicke auf sich. SRF

Für den Marktbummel trägt er einen Anzug und ein hellblaues Hemd. Reichel hat schon viel gesehen in seinem Leben. Er reiste etwa schon in den Sudan oder nach Äthiopien. Und jetzt eben nach Syrien.

«Alle sagten, das sei fahrlässig»

Noch vor der jüngsten Gewalteskalation im Westen Syriens hat Reichel innert weniger Tage das halbe Land bereist – begleitet vom Tourguide eines lokalen Reisebüros, den er vor Ort angeheuert hat. Gesehen hat Reichel neben Damaskus auch die Oasenstadt Palmyra oder die ehemalige Handelsmetropole Aleppo.

Mein Sohn meinte, dass er Mühe hätte, Lösegeld zu bezahlen, falls ich entführt werden würde.
Autor: Jürg Reichel Reisender und pensionierter Hausarzt aus der Schweiz

Seine Familie hatte gar keine Freude an der Reise. «Die haben alle gesagt, ich dürfe nicht gehen, das sei absolut fahrlässig. Mein Sohn meinte etwa, dass er Mühe hätte, Lösegeld zu bezahlen, falls ich entführt werden würde», erzählt Reichel. Warum ist er trotzdem gereist? «Das ist halt mein Naturell: Ich will mir nicht sagen lassen, was ich machen soll.»

Bund könnte Hilfeleistung verweigern

Auch das Schweizer Aussendepartement EDA warnt vor Reisen nach Syrien. In den Reisehinweisen steht: «Von Reisen nach Syrien und Aufenthalten jeder Art wird abgeraten.»

Zwei Männer sprechen an einem Tisch im traditionellen Café.
Legende: Um tiefer in die syrische Kultur einzutauchen, hat Jürg Reichel vor Ort Arabischlektionen genommen. SRF

Das Land gilt weiterhin als instabil, es besteht die Gefahr von Anschlägen. Serge Bavaud, der Chef des Krisenmanagement-Zentrums, sagt: «Personen, die trotz der Empfehlung des Bundes reisen, verhalten sich fahrlässig. Der Bund kann in solchen Fällen Hilfeleistungen verweigern oder begrenzen.»

Kritik an «Katastrophen-Tourismus»

«Dark Tourism» oder «Katastrophen-Tourismus» nennen Kritikerinnen und Kritiker solche Reisen. Es gibt jedoch Reiseanbieter, die bereits wieder kommerzielle Touren nach Syrien anbieten. Etwa der Brite James Willcox mit seiner Reiseagentur Untamed Borders.

Vielleicht bekommt man den Eindruck, dass sich Syrien über den Konflikt definiert. Aber ich denke, viele Menschen in Syrien möchten, dass sich das ändert.
Autor: James Willcox Gründer der Reiseagentur Untamed Boarders

Willcox wehrt sich gegen den Vorwurf, dass solche Reisen unethisch seien: «Vielleicht bekommt man im Moment tatsächlich den Eindruck, dass sich Syrien vor allem über den Konflikt definiert. Aber ich denke, viele Menschen in Syrien wollen, dass sich das ändert.»

Auch Jürg Reichel als Individualreisender hat sich seine Gedanken gemacht. Die heftigen Schäden durch den Bürgerkrieg hätten ihn extrem bewegt, sagt er. «Was mich am traurigsten gemacht hat, war die kilometerlange Zerstörung. Ganze Dörfer sind systematisch unbewohnbar gemacht worden.»

Zwei zerstörte Gebäude vor klarem Himmel.
Legende: Jürg Reichel hat bei seiner Reise die grosse Zerstörung durch den Krieg mit eigenen Augen gesehen: «Das hat mich am traurigsten gemacht.» SRF

Aber es sei auch gut, einmal mit eigenen Augen zu sehen, wie schlimm das Ganze sei, so Reichel. «Man kann Geld in die Entwicklungshilfe geben oder man kann ein Land bereisen und das Geld dort vor Ort ausgeben.»

Bezahlen auf Umwegen

Geld auszugeben war zu Beginn der Reise allerdings ein Problem für Reichel. Wegen der Sanktionen konnte er nirgends mit seinen westlichen Bankkarten Geld abheben: «Ich wusste nicht, dass man alles in bar mitnehmen muss. Aber ich hatte Glück: Ich konnte beim Reisebüro auf ein Konto in Katar einzahlen, und dann hat mir der Leiter des Reisebüros dieses Geld in Dollar ausbezahlt.»

Reichel bereut die unkonventionelle und nicht ganz ungefährliche Reise nach Syrien nicht – und denkt bereits über nächste Reiseziele nach: «Wohin es dann geht, wird ganz kurzfristig entschieden», sagt der 75-Jährige lachend.

10 vor 10, 17.3.2025, 21:50 Uhr;stal

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