Präsident Emmanuel Macron hat grosse Ambitionen. Ein Nationaler Rat für Neugründung soll die grundsätzlichen Probleme Frankreichs diskutieren und Vorschläge entwickeln, wie sich die politischen Strukturen verbessern lassen. 52 Volksvertreterinnen und Vertreter hat er in dieses neue Gremium berufen. Nur 40 sind heute Vormittag zur Gründungsversammlung erschienen. Dies bringt den Präsidenten hörbar aus der Fassung. Wer sich einer Diskussion verweigere, habe immer unrecht, sagt er.
Opposition will nicht mitmachen
Die Einladung abgelehnt hatte zum Beispiel Senatspräsident Gérard Larcher. Er hatte dies im Radio begründet: Präsident Macron vermische einmal mehr repräsentative mit partizipativer Demokratie. Bürgerversammlungen seien gut, um grundsätzliche Fragen zu besprechen. Aber letztlich müsse das Parlament entscheiden.
Ähnlich war das Echo aus beinahe allen Parteien, die im Parlament vertreten sind. Von Rassemblement National rechts-aussen bis zur linken France Insoumise ist sich die Opposition einig, dass sie beim neuen Gremium nicht mitmachen wollen. Das Projekt entwerte die Rolle des Parlaments als Ort der politischen Debatte.
Unterstützung für Präsident Macron gibt es nur von seinen Koalitionspartnern. In erster Linie von François Bayrou, dem Chef der Regierungspartei Modem, der die Beratungen des neuen Gremiums leiten soll. Er sagt, der neue Rat sei notwendig, weil Debatten im französischen Parlament meist nur polemisch und aggressiv seien. Wegen unflätiger Beleidigungen im Parlamentssaal würden Medien in der Berichterstattung sogar oft den Ton ausblenden. Was immer die Regierung vorschlage – die Opposition sei stets dagegen.
Regierung ohne Mehrheit
Frankreichs Parlament ist traditionell stark polarisiert: Die Machtverhältnisse sind nach dem Mehrheitswahlrecht überwiegend sehr einseitig verteilt. Vorschläge der Opposition haben selten eine Chance. Auch die Regierung Macron hat ihre Überlegenheit in der ersten Amtszeit kompromisslos ausgespielt. Seit den Parlamentswahlen im Juni ist vieles anders: Erstmals seit 30 Jahren hat eine Regierung keine Mehrheit mehr. Nun zeigt sich die Opposition wenig kompromissbereit.
Der Nationale Rat für Neugründung stösst auch auf Skepsis, weil Präsident Macron bereits in seiner ersten Amtszeit mit Modellen von Bürgerbeteiligung experimentiert hat. Anfangs 2019 rief er zu einer grossen nationalen Debatte auf. An hunderten von Versammlungen wurde überall in Frankreich über Probleme diskutiert: über Mängel in der Grundversorgung in den Randregionen, über Probleme im Gesundheitswesen und den Schulen. Handfeste Resultate brachte diese Debatte jedoch nicht.
Am Schluss entscheidet der Präsident
Ähnlich ging es der Bürgerversammlung für das Klima: 150 durch Losentscheid ausgewählte Bürgerinnen und Bürger diskutierten beinahe ein Jahr lang intensiv über eine neue Klimapolitik. Ursprünglich hatte Präsident Macron versprochen, er werde die Empfehlungen der Versammlung praktisch ungefiltert übernehmen. Doch die Regierung schwächte die meisten Vorschläge wieder ab.
Der frühere grüne Präsidentschaftskandidat Yannick Jadot bezeichnet es als Methode Macrons: Man schaffe ein Gremium, das über alle möglichen Themen rede, aber demokratisch nicht legitimiert sei. Am Ende fälle der Präsident die Entscheidungen in einer kleinen Runde.