46 Mitgliedsländer hat der Europarat, dazu einen repräsentativen Sitz in Strassburg, den Palais de l'Europe, gegen 2000 Angestellte und ein Budget von 625 Millionen Euro. Das klingt beeindruckend. Dennoch ist der Europarat im Vergleich zur EU ein Zwerg.
Mit zahlreichen Konventionen und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dem EGMR, schafft er zwar Recht. Doch die Macht, dieses durchzusetzen, hat er nicht. Der neue Generalsekretär Alain Berset drückte es gegenüber SRF gleich nach seiner Wahl so aus: «Der Europarat ist sehr stark ein Werte-Projekt, eine Organisation mit gemeinsamen Werten.»
Wir müssen vor allem die negativen Entwicklungen bremsen. Wir sehen derzeit sehr viele auseinanderstrebende Kräfte am Werk.
Genau jene Werte, für die der Europarat steht, also Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte, stehen vielerorts unter Druck. Diesen Tendenzen müsse man sich widersetzen. Das sei seine oberste Priorität: «Wir müssen vor allem die negativen Entwicklungen bremsen. Wir sehen derzeit sehr viele auseinanderstrebende Kräfte am Werk.»
Zahlreiche Mitgliedsländer, von Aserbaidschan bis zur Türkei, von Georgien über Serbien bis zu Ungarn, der Slowakei und etliche mehr, bewegen sich punkto Demokratie rückwärts. «Entscheidend ist deshalb», so Berset zur Nachrichtenagentur SDA, «was wir für die Demokratie machen können. Es geht nicht überall in die richtige Richtung, ja ich würde fast sagen nirgendwo.»
Schadensregister für die Ukraine
Dazu kommt: Das Mitgliedsland Ukraine steht in einem Krieg, den das inzwischen ausgeschlossene Mitgliedsland Russland vom Zaun gebrochenen hat. Dieser Konflikt ist entsprechend für Berset die naheliegende, ja zwingende zweite Priorität. Der Europarat hat ein Schadensregister etabliert, das nach Kriegsende für die Aufarbeitung und Entschädigung zentral sein wird und er plant die Schaffung eines Sondergerichts gegen die Verantwortlichen in Moskau.
An Herausforderungen und Krisen mangelt es also nicht. Bersets Antwort: Vollgas geben für deren Bewältigung. Volles Engagement war bereits sein Erfolgsrezept im Wahlkampf um den Strassburger Spitzenposten, in dem er sich als sehr spät angetretener Kandidat am Ende durchsetzte.
Grosses Netzwerk des alt Bundesrats
Zugute kommt dem 52-jährigen Freiburger dabei die Tatsache, dass die Schweiz hinter den Werten des Europarats steht. Aber ebenso seine politische Erfahrung, sein diplomatisches Geschick und ein dickes Adressbuch. Berset: «Die Rolle der Schweiz, das Netzwerk der Schweiz, aber auch mein eigenes, das kann wirklich helfen.»
Mein Ziel: Sofort viel mehr Sichtbarkeit und politisches Gewicht.
Sein Ziel für die nun von ihm geführte Organisation: «Sofort viel mehr Sichtbarkeit und politisches Gewicht.» Zu wenig internationale Präsenz und zu wenig Durchschlagskraft wurden seiner Vorgängerin vorgeworfen, der Kroatin Marija Pejcinovic-Buric. Wohl auch deshalb strebte sie keine zweite Amtszeit an.
Mit Berset wird das wohl anders. Kaum im Amt reist er von Strassburg nach New York, wo am Sonntag die UNO-Gipfelwoche beginnt und sich die Staats- und Regierungschefs aus aller Welt versammeln. Gerade dort gilt es, für die Anliegen des Europarats zu werben.