Darum geht es: Der Ärmelkanal zwischen Frankreich und Grossbritannien ist eine der gefährlichsten Wasserstrassen der Welt. Trotzdem haben den Kanal allein im vergangenen Jahr mehr als 45'000 Männer, Frauen und Kinder überquert. Sie kommen aus Albanien, Afghanistan oder Syrien und hoffen auf ein sichereres und besseres Leben in Grossbritannien. Weder Wind, Wetter noch Gesetze halten sie ab. Allein in den ersten Monaten dieses Jahres sind bereits 3000 Bootsmigrantinnen und -migranten an der südenglischen Küste gestrandet.
Das ist der Anlass: Paris und London wollen nach jahrelangen Zankereien rund um den Brexit mit einem frischen Start ihre Beziehungen verbessern. Eine engere Zusammenarbeit soll es bei der Verteidigung, der Energieversorgung und der Eindämmung unerwünschter Migration geben, wie Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und der britische Premierminister Rishi Sunak nach einem Treffen mit Kabinettsmitgliedern beider Länder in Paris sagten.
500 Millionen für Frankreich: Im Kampf gegen unerwünschte Migration über den Ärmelkanal zahlt Grossbritannien in den nächsten drei Jahren über eine halbe Milliarde Euro an Frankreich. Damit soll ein neues Internierungslager in Nordfrankreich finanziert werden. Die jährlichen Zahlungen von London an Paris werden mehr als verdoppelt. Auch eine neue Kommandozentrale soll mit den 541 Millionen Euro entstehen, ausserdem sollen 500 zusätzliche Grenzbeamte sowie moderne Drohnen und Überwachungstechnologie eingesetzt werden.
Einschätzungen der Korrespondenten
Patrik Wülser, London: Die strengsten Migrationsgesetze nützen nichts, wenn man den nächsten Nachbarn nicht einbindet. Aus London ist bereits Kritik zu hören, das Beschlossene reiche nicht. Viele hätten sich schärfere Massnahmen gewünscht. Zum Beispiel, dass Sunak mit einem Rücknahmeabkommen zurück nach London kommt. Macron machte aber deutlich, dass ein solches nur mit der EU und nicht bilateral ausgehandelt werden kann.
Sunak war in Sachen kleine Boote der Bittsteller für Tories-Wähler. Für die Wählerinnen sind diese Bootsflüchtlinge praktisch zuoberst auf dem Sorgenbarometer. Doch aussenpolitisch haben sich die Zeiten geändert. Europa erlebt einen Angriffskrieg, Frankreich und Grossbritannien sind die beiden europäischen Atommächte, Nato-Alliierte. Man ist aufeinander angewiesen und kooperiert. Wahrscheinlich ist dabei auch die Einsicht gewachsen, dass die Welt zurzeit dringendere Sorgen hat, als nachbarschaftliche Provokationen zu zelebrieren.
Daniel Voll, Paris: Für Frankreichs Präsident Macron ist der Neuanfang im Verhältnis zu Grossbritannien vorerst relativ unproblematisch. Allerdings muss man auch sagen, dass die wirklichen Sorgen des Präsidenten und seiner Regierung im Moment der Innenpolitik gelten, vor allem dem Streit um die Rentenreform, die derzeit im Parlament beraten wird und dort noch lange nicht gesichert ist.