Eine Autogarage in Rawalpindi, der Zwillingsstadt der pakistanischen Hauptstadt Islamabad. Im ersten Stock der Garage hocken drei Afghanen neben ausgebauten Motoren. Mit einem brummenden Heizofen versuchen sie, die Kälte zu vertreiben. Einer von ihnen stellt sich als Amrullah vor. Den Nachnamen möchte der Mechaniker nicht nennen. Denn Amrullah lebt illegal in Pakistan. Obwohl er vor 34 Jahren hier geboren wurde und mit einer pakistanischen Frau verheiratet ist.
«Die Heirat hat mir keine Rechte gegeben», sagt er. Und die gemeinsamen vier Kinder seien staatenlos. Seit die pakistanische Regierung im Herbst letzten Jahres angekündigt hat, alle Illegalen auszuweisen, habe sich die Situation seiner Familie noch einmal deutlich verschlechtert, sagt Amrullah.
Ich sehe hier keine Zukunft für meine Kinder. Ich sehe überhaupt keine Zukunft für uns.
Die älteren Kinder dürften nicht mehr in die Schule. Ein Haus könnten sie nur noch mit Hilfe eines Pakistaners mieten. Und selbstständig arbeiten dürfe er auch nicht, obwohl er schon so lange da sei. Zudem müssten er und seine Kinder jederzeit damit rechnen, deportiert zu werden. «Ich bin enttäuscht und traurig», sagt der Mechaniker. «Ich sehe hier keine Zukunft für meine Kinder. Ich sehe überhaupt keine Zukunft für uns.»
Seit Oktober zieht die Regierung die Schrauben an
Das war nicht immer so. Pakistan hat afghanische Flüchtlinge jahrzehntelang geduldet. Die erste Flüchtlingswelle erreichte das Land nach dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan, 1979. Nach der Machtübernahme durch die Taliban und dem Ende der Republik Mitte August 2021 flohen noch einmal mehr als eine halbe Million Afghaninnen und Afghanen ins Nachbarland Pakistan.
24 Stunden am Tag haben wir Angst, dass die Polizei kommt und uns mitnimmt.
Zurück in die Garage in Rawalpindi: Ein älterer Afghane namens Abdullah meldet sich zu Wort. Wegen einer Fehde in Afghanistan ist seine Familie vor Jahrzehnten nach Pakistan geflüchtet. Auch seine Familie hat keine gültigen Papiere mehr. Seine eigene «Afghan Citizen Card», die ihm ein bisschen Schutz gab, ist abgelaufen. Verlängert wird sie nicht mehr.
«24 Stunden am Tag haben wir Angst, dass die Polizei kommt und uns mitnimmt», sagt Abdullah. «Jedes Mal, wenn unsere Kinder an die Tür klopfen, denken wir, sie würden uns holen.»
Schmiergeld für die Polizei
Sie seien nur deshalb noch nicht deportiert worden, weil sie der Polizei regelmässig Schmiergeld zahlten. «Die Polizei ist nur an Geld interessiert», sagt Abdullah. Selbst Afghaninnen und Afghanen, die noch gültige Papiere haben, müssten regelmässig zahlen. Er kenne auch Fälle, in denen die Polizei sogar gültige Aufenthaltsberechtigungen zerstört habe, nur, um Geld zu kassieren. Wer nicht zahle, werde deportiert. Viele Väter, die ohne ihre Familien deportiert würden, versuchten, über Iran oder andere Länder wieder einzureisen. Aber das sei sehr teuer.
Sie konnten sich sicher fühlen, bis die pakistanische Regierung am 3. Oktober plötzlich ankündigte, dass alle illegalen Flüchtlinge ohne Papiere das Land innerhalb eines Monats verlassen müssten. Ansonsten würden sie deportiert. Das betraf vor allem 1.7 Millionen illegale Afghaninnen und Afghanen. Die Regierung macht sie für eine Reihe von Terroranschlägen in Pakistan verantwortlich. Und will mit der Ausweisung der Flüchtlinge mutmasslich Druck auf Afghanistan ausüben, sich an der Lösung des Terror-Problems zu beteiligen.
Dass Geld eine Schlüsselrolle spielt, bestätigen auch seine Landsleute. Die Polizei fragt immer nach Geld, sagt der Mechaniker Amrullah. Bis zu 40’000 pakistanische Rupien wollten sie pro Besuch, umgerechnet 125 Franken.
Es ist unfair, alle Afghaninnen und Afghanen pauschal zu verurteilen, weil einige an Terroranschlägen beteiligt gewesen sein sollen.
Bisher hätten sie immer gezahlt – auch, wenn sie kaum Geld genug zum Leben hätten. Denn eine Rückkehr nach Afghanistan unter den Taliban sei für seine Familie zu riskant, sagt Abdullah. Seine Söhne hätten in der Zeit vor der Machtübernahme durch die Taliban im afghanischen Militär gedient. Wenn sie jetzt zurückkehrten, würden die Taliban sie mit grosser Wahrscheinlichkeit umbringen.
UNO kritisiert die Ausschaffungen
In einem Hotel in der Hauptstadt Islamabad nimmt sich Qaiser Khan Afridi Zeit für ein Gespräch. Er ist Sprecher des UNO-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) in Pakistan. Die Vereinten Nationen haben Pakistan dazu aufgerufen, afghanische Flüchtlinge nicht auszuweisen.
«Es ist unfair, alle Afghaninnen und Afghanen pauschal zu verurteilen, weil einige an Terroranschlägen beteiligt gewesen sein sollen», sagt Afridi. Ausserdem sei die humanitäre Lage in Afghanistan schwierig. Der kalte Winter, die Folgen der Erdbeben, das alles mache es schwer, zurückzukehren. Doch die pakistanische Regierung habe der UNO nur versprochen, die riskanten Fälle nicht zurückzuschicken. Dazu zählen zum Beispiel frühere Regierungsmitarbeiterinnen oder Angehörige des Militärs unter dem alten Regime, vor dem Machtwechsel durch die Taliban im August 2021.
Und trotzdem: «Es hat einige unschöne Zwischenfälle gegeben», sagt Afridi. Sogar registrierte Afghaninnen und Afghanen habe die pakistanische Polizei bedroht, festgenommen und deportiert. Nur sehr wenigen Flüchtlingen könne die UNO-Behörde helfen.
Hurias Familie setzt ihre Hoffnungen auf die UNO
Darauf hofft auch Huria. Sie lebt mit ihrer Familie in einem rein afghanischen Quartier in Islamabad. Die Visa sind ausgelaufen, sie sind Illegale. Die Familie ist nach der Machtübernahme der Taliban nach Islamabad geflüchtet. Ein Bruder sei von den Taliban getötet worden, der andere habe bei der alten Regierung gearbeitet, sagt Huria. Daher könnten sie nicht zurück.
Die Familie lebt in einem schlichten Haus, zusammen mit anderen Flüchtlingen. Gekocht wird vor der Tür. Auch sie müssten jederzeit mit ihrer Deportation rechnen. «Immer schleicht jemand ums Haus», erzählt die 21-Jährige. Ihr letzter Strohhalm ist die UNO-Flüchtlingsorganisation. Ihr Bruder habe schon zwei Interviews geführt und warte jetzt auf das entscheidende dritte Interview, sagt Huria. Die Familie hofft auf Aufenthaltspapiere in Pakistan. Eine andere Option hätten sie nicht mehr.