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Insomnie nimmt zu «Der Griff zu Schlafmitteln ist nicht ganz unproblematisch»

Eine neue Umfrage aus Deutschland zeigt: Fast vier von zehn Deutschen greifen zu Schlafmitteln – bei den 18- bis 29-Jährigen sind es sogar 57 Prozent. Das berichtet das «Deutsche Ärzteblatt». 22 Prozent der Deutschen nehmen verschreibungspflichtige Schlafmittel. Auch in der Schweiz sind Probleme mit dem Schlaf bekannt. Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte im Oktober 2024 Zahlen, wonach ein Drittel der Bevölkerung unter Schlafstörungen leidet. Bei jungen Menschen war der Anstieg in den letzten 25 Jahren besonders markant. Schlafforscherin und Schlaftherapeutin der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, Christine Blume, ordnet ein.

Christine Blume

Kognitive Neurowissenschaftlerin

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Christine Blume ist promovierte Psychologin und hat zusätzlich Neurobiologie und Pharmakologie in Cambridge studiert. Sie forscht seit 2019 am Zentrum für Chronobiologie der Universitären Psychiatrischen Kliniken (UPK) Basel zum biologischen Rhythmus von Menschen und dem Schlaf. Sie ist zudem Schlaftherapeutin in der Schlafambulanz der UPK Basel.

SRF News: Wie problematisch ist der Griff zu Schlafmitteln bei jungen Menschen?

Christine Blume: Wenn es sich um längerfristige Schlafstörungen handelt, also chronische Schlafstörungen, ist der Griff zu Schlafmitteln nicht ganz unproblematisch, weil das nur eine symptomatische Behandlung ist.

Die Schlafstörung (Insomnie)

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Die Medizin definiert eine chronische Schlafstörung, wenn die Schlaflosigkeit über drei Monate lang dauert. Die Symptome beschränken sich dabei nicht auf die Nacht, sondern gehen mit einer Tagesbeeinträchtigung einher.

Nach den Leitlinien sind Medikamente für die langfristige Behandlung nicht die erste Wahl, sondern es ist die sogenannte kognitive Verhaltenstherapie bei Insomnie. Diese Therapie behandelt nicht nur die Symptome allein, sondern stellt eine ursächliche Behandlung dar.

Wie wirken sich Stress und Sorgen genau auf den Schlaf aus?

Stress und Sorgen sind quasi der grösste Feind des Schlafes. Man kann sich das leicht vorstellen: Stress bringt den Körper in einen Zustand erhöhter Erregung, erhöhter Reaktionsbereitschaft, also Flucht oder Verteidigung – evolutionär gesprochen. Das ist natürlich kein Zustand, der mit einem tiefen Entspannungszustand wie dem Schlaf kompatibel ist.

Kinderfüsse unter gelber Bettdecke.
Legende: Schlafstörungen – sogenannte Insomnie – betreffen vier von zehn Erwachsenen in Deutschland. Keystone/KARL-JOSEF HILDENBRAND

Wenn dann noch Sorgen dazukommen, liegt man am Abend im Bett und kann nicht einschlafen. Abends und in der Nacht gibt es keine Ablenkung. Man ist allein mit sich und man hat niemanden, der einen in dieser Situation unterstützen kann. Es fällt einem dann eben noch mal schwerer, von diesen Sorgen Abstand zu nehmen.

Der Schlaf und die innere Uhr

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Die innere Uhr kann man laut Christine Blume ebenfalls beeinflussen. Das könne manchmal auch ein hilfreicher Ansatz sein. Der Chronotyp eines Menschen bedeute eine Präferenz für ein bestimmtes Schlaf- und Wachfenster. Junge Erwachsene präferieren oft spät ins Bett zu gehen und spät aufzustehen. «Sie haben die maximale Eulentendenz», so Blume. Das bedeute aber auch, dass junge Erwachsene am stärksten in Konflikt stünden, was ihre Schlafzeiten und den Rhythmus der inneren Uhr mit ihren gesellschaftlichen Rhythmen wie Schulanfangs- und Arbeitszeiten anbelangt.

Man kann die innere Uhr beeinflussen und das geschieht vor allem auch über das Tageslicht. Hier sei es wichtig, sich möglichst früh am Morgen dem Licht auszusetzen. Allerdings muss dies auch jeden Tag geschehen, denn das sei kein langfristiger Effekt.

Sind da junge Menschen mehr betroffen als ältere Menschen?

Generell nehmen Schlafstörungen mit steigendem Alter zu. Bei dem berichteten Anstieg bei jungen Menschen muss man sich fragen: Woran liegt das? Dafür gibt es zwei Erklärungen. Die eine ist, dass es eine Zunahme an Belastungen gibt, die stärker junge Menschen belasten. Das haben wir gerade im Zuge der Pandemie ganz häufig gehört. Das kann sich dann auch zeigen in einer Erhöhung der Zahl an Menschen, die von Schlafstörungen betroffen sind.

Die Überzeugung, dass man auf jeden Fall acht Stunden schlafen muss, ist eine Vorstellung mit eher geringem Wahrheitsgehalt.

Was man aber auch nicht vergessen darf: Das Ganze könnte auch eine Konsequenz von einer erhöhten Offenheit sein, darüber zu sprechen. Das wäre dann eigentlich eine Reduktion der Dunkelziffer. Da half uns möglicherweise auch die Pandemie, indem wir heute offener über mentale Belastungen sprechen, die zu Insomnie führen können.

Das Verhältnis zum Schlaf und der Griff zum Schlafmittel

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Roter Wecker mit Pillen als Uhr auf blauem Hintergrund.
Legende: imago images/Oleksandr Latkun

Der schnelle Griff zum Schlafmittel zeige möglicherweise einen Trend in der Gesellschaft zu einer schnellen Problemlösung, so Christine Blume. Es sei oft auch das Erste, was Menschen in den Sinn kommt, um den Schlaf zu verbessern und eben nicht der psychotherapeutische Ansatz.

«Aber es ist leider kein besonders nachhaltiger Weg, sondern die nachhaltigste Form wäre eben die Verhaltensänderung, das Auseinandersetzen mit den Gedanken um den Schlaf und dann eben die Hoffnung darüber, eine Verbesserung des Schlafes zu erreichen», so Blume.

Was ist die Alternative zu Schlafmitteln?

Nach der europäischen Leitlinie ist die kognitive Verhaltenstherapie die Wahl der Behandlung von chronischer Insomnie. In dieser Therapie behandeln wir einerseits das Verhalten, damit ein guter Schlaf wieder möglich wird. Andererseits behandeln wir auch die Gedanken, die den Schlaf rauben. So ist zum Beispiel die Überzeugung, dass man auf jeden Fall acht Stunden schlafen muss, um leistungsfähig zu sein, eine Vorstellung mit eher geringem Wahrheitsgehalt.

Wenn die Erstlinientherapie nicht wirksam ist, dann kann man über den Einsatz von Medikamenten nachdenken. Das ist aber im Einzelfall abzuwägen.

Das ist eine Überzeugung, die stark unter Druck setzt und wiederum Stress verursacht. Diese beiden Punkte behandeln wir in der kognitiven Verhaltenstherapie in der Regel in acht Sitzungen.

In welchen Fällen kommt die Schlaftherapie an ihre Grenzen?

Wenn eben die vorher erwähnte Erstlinientherapie nicht ausreichend wirksam ist, dann kann man auch über den Einsatz von Medikamenten nachdenken. Das ist dann im Einzelfall abzuwägen. Einige Medikamente sind besser für eine potenzielle Langzeittherapie geeignet als andere.


Das Gespräch führte Rachel Beroggi.

SRF 4 News, 25.02.2025, 16:54 Uhr ; 

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