Das ungeschriebene Gesetz in den USA, nach einem Angriff auf das Land auch in der Politik zusammenzustehen, gilt offenbar nicht mehr. Statt zusammenzuarbeiten, streiten sich Donald Trump und Hillary Clinton nach dem Massenmord in einem Schwulenclub in Orlando über die nun nötigen Massnahmen. Während Trump Muslimen die Einreise verbieten will, plädiert Clinton für ein Überdenken der Waffengesetze.
Im Interview gibt der USA- und Obama-Kenner Christoph von Marschall Auskunft darüber, wer am Ende politisch von dem Massaker von Orlando profitieren könnte.
SRF News: Täuscht der Eindruck, oder ist es tatsächlich so: Der offenbar islamistisch motivierte Terroranschlag von Orlando ist für Trump viel einfacher zu instrumentalisieren als für Clinton?
Christoph von Marschall: Von der Rhetorik und der Argumentationsweise her ja – allerdings gibt es da gewisse Einschränkungen. Eine offensichtliche Ausnutzung eines Massenmords an Amerikanern zu Wahlkampfzwecken würden die amerikanischen Wählerinnen und Wähler nicht akzeptieren.
Trump will ja nun allen Menschen aus sogenannten Terrorstaaten die Einreise in die USA verbieten – wie passt das zum Bild des Mörders von Orlando? Der war offenbar ein Einzeltäter und US-Staatsbürger...
Der Täter wurde in New York geboren, insofern wäre ein Einreiseverbot für Muslime keine praktische Antwort auf ähnliche Fälle. Die «Lonely Wolfs» sind in der Regel seit längerem in den USA und haben keine direkte Kommunikationsverbindung zu einer Terrororganisation. Deshalb sind sie auch so schwer zu entdecken. Allerdings, so argumentiert Trump, verlange er schon seit langem ein Einreiseverbot für Muslime.
Wie kommt Trumps Argumentation bei der amerikanischen Bevölkerung an?
Darüber kann man nur spekulieren, es gibt dazu noch keine Meinungsumfragen. Bei früheren Attentaten – beispielsweise jenem auf die demokratische Abgeordnete Gabrielle Giffords in Arizona – haben einzelne Republikaner versucht, die Anschläge zu instrumentalisieren.
Doch das ist nicht gut angekommen: Barack Obamas zurückhaltende Reaktion, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen und zunächst die Opfer zu betrauern, kam deutlich besser an, als der Versuch von Sarah Palin, Änderungen an den bestehenden Waffengesetzen kategorisch auszuschliessen.
Trump übertreibt in seiner Reaktion – nicht alle Amerikaner goutieren das.
Stichwort Waffengesetz: Hillary Clinton fordert nun eine Verschärfung der Gesetze, wie dies auch Obama jeweils – ziemlich erfolglos – tut. Setzt sie nicht auf das falsche Thema?
Bei der Einstellung gegenüber den Waffengesetzen und der Frage, ob man sie ändern sollte, gibt es in der US-Öffentlichkeit einen schleichenden Wandel. Grund sind die wiederkehrenden Massenschiessereien der vergangenen Jahre, bei denen in Schulen, Kinos oder Einkaufszentren Menschen ermordet wurden.
Die Waffenlobby NRA ist bei der politischen Debatte im Kongress zwar nach wie vor dominierend. Doch bei Meinungsumfragen gibt es immer öfter leichte Mehrheiten für Änderungen bei den Waffengesetzen. Es geht dabei nicht um ein Verbot des Waffenverkaufs, aber darum, besser abzuklären, wer eine Waffe erwerben darf.
Ausserdem ist der private Erwerb von automatischen Waffen – also Kriegswaffen – im Volk immer stärker umstritten. Auch Clinton hat sich nun vor allem in dieser Richtung geäussert: Sie habe nichts gegen Sport- oder Jagdwaffen, aber sie sei dagegen, dass sich jeder ein quasi-Maschinengewehr kaufen könne.
Wer wird denn nun politisch mehr «profitieren» vom Blutbad von Orlando: Donald Trump oder Hillary Clinton?
Das ist offen. Auf den ersten Blick naheliegend ist, dass das Massaker Trump eher in die Hände spielt, weil er schärfere Reaktionen verspricht. Doch er übertreibt in seiner Reaktion und weite Teile der amerikanischen Gesellschaft goutieren nicht unbedingt, dass ein solches Verbrechen politisch ausgenutzt wird.
Sicher ist, dass wir nun ein ganz klar unterschiedliches Politikangebot von den beiden Präsidentschaftsanwärtern haben: Dies betrifft den Umgang mit Muslimen, den Kauf von Schnellfeuerwaffen und die Frage, ob Amerikas «Screening»-Prozess ausreichend ist. Dabei geht es um die Kontrolle und Durchleuchtung von Menschen, die in die USA kommen. Trump behauptet fälschlicherweise, diese Prüfung gebe es gar nicht, während Clinton dezidiert mehr Geld und Unterstützung für das FBI fordert, damit der «Screening»-Prozess verbessert werden kann.
Das Gespräch führte Hans Ineichen.