In der Ukraine wütet der Krieg. In Russland zeigen derweil langsam, aber sicher die Sanktionen, die der Westen verhängt hat, Wirkung. Sie sollen die russische Gesellschaft an ihrer Führung und die Führung an ihren Entscheiden zweifeln lassen.
Die russische Bevölkerung zum Umdenken bewegen konnten die gesprochenen Sanktionen bisher wohl nur bedingt, schätzt David Nauer, Ukraine- und Russlandkenner sowie ehemaliger SRF-Russlandkorrespondent.
Natürlich gebe es unterschiedliche Meinungen. Gerade liberale Kreise aus Moskau stünden zum Teil immer noch unter Schock. Manche würden sich dafür schämen, dass Russland die Ukraine überfallen hat. «Das ist aber nach meinem Eindruck eine Minderheit, vielleicht sogar eine kleine Minderheit.»
Viele Russinnen und Russen würden den Krieg rechtfertigen. «Sie sagen, Russland müsse sich wehren, weil der Westen die Ukraine gegen Russland aufgehetzt habe. Nun schlage man eben zurück.»
Viele Russinnen und Russen glauben die Propaganda des Kremls, dass es sich hier um einen Verteidigungskrieg handelt und nicht um einen Angriff.
Verbreitet sei auch eine weitere Überzeugung: «Dass die russischen Truppen als Befreier in der Ukraine auftreten – und dass die ukrainische Bevölkerung geschont werde, und nur böse Extremisten bekämpft würden. Viele Russinnen und Russen glauben die Propaganda des Kremls, dass es sich hier um einen Verteidigungskrieg handelt und nicht um einen Angriff», sagt Nauer.
Der russische Präsident Putin pflegt in diesen Tagen das Bild von einem Nazi-Regime in der Ukraine, das sein Volk unterdrücke und das es deshalb zu befreien gebe. Ein Bild, das sich mit der Realität kaum vereinen lässt. Und dennoch seien viele Russinnen und Russen resistent gegen Fakten.
So würden einige Eltern in Russland nicht einmal ihren erwachsenen Kindern glauben, wenn diese sagen, sie sitzen in Kiew im Bombenkeller. «Die Eltern sagen, es gebe keine Bomben, die auf Kiew fallen.»
Auch zu Friedenszeiten habe der ehemalige Russlandkorrespondent Ähnliches erlebt. Russen hätten ihm damals erklärt, dass es keine Ukrainer gäbe – sie seien eigentlich Russen. In der Ukraine gewesen seien sie selbst aber zuletzt vor 30 Jahren.
Propaganda, die funktioniert
«Man hat oft keine Chance mit der Realität. Die Erzählungen des Staatsfernsehens, diese Propagandadiskurse sind sehr gut gemacht. Sie knüpfen an alten Vorstellungen aus der Sowjetzeit an. Das wirkt bis heute nach», erklärt Nauer.
Die Propaganda greift. Andere Länder reagieren. Immer mehr internationale Konzerne ziehen sich wegen der Sanktionen aus Russland zurück. Der Schweizer Uhrenkonzern Swatch hat angekündigt, man werde nicht mehr nach Russland exportieren. Ähnliche Massnahmen haben Apple, Mercedes Benz oder Ikea angekündigt.
Auf das Land kommen riesige wirtschaftliche Probleme zu.
Einige russische Menschen machen sich Sorgen um die Wirtschaft. Dennoch hat David Nauer den Eindruck, dass die meisten Menschen in Russland noch nicht realisiert haben, wie krass die Folgen der Sanktionen für Russland sein werden. «Es werden wahrscheinlich Millionen von Menschen ihre Jobs verlieren. Sehr viele Produkte wird es dort nicht mehr geben. Auf das Land kommen riesige wirtschaftliche Probleme zu.»
Ob das auch politisch etwas auslöst? «Das bezweifle ich eher», so Nauer. «Es gibt nämlich bereits jetzt eine verbreitete Ansicht, dass der Westen sowieso Sanktionen gegen Russland erlassen hätte – unabhängig davon, ob Russland Krieg macht oder nicht. Weil er Russland klein halten will.»
Putin kennt seine Russen. Er weiss, was er ihnen erzählen muss, damit sie es glauben.
Laut einem Soziologen sei diese Meinung tatsächlich verbreitet in Russland. «Putin kennt seine Russen, muss man sagen. Er weiss, was er ihnen erzählen muss, damit sie es glauben», sagt David Nauer.