Für Geheimdienste ist das diplomatische Parkett ein Eldorado. Dass aber Staaten Agenten direkt in Botschaften befreundeter Staaten platzieren, ist so nicht bekannt. Genau dies ist dem ehemaligen Schweizer Spitzenbotschafter François Nordmann passiert.
Nordmann vertrat Mitte der 1980er-Jahre als Schweizer Botschafter in Guatemala im Rahmen eines Schutzmachtmandats die britischen Interessen. Als Geste des guten Willens gewährte Guatemala Grossbritannien das Recht auf die Präsenz eines britischen Diplomaten in der Schweizer Botschaft.
Die späte Entdeckung
Was Nordmann nicht wusste: Der angebliche Diplomat war in Wahrheit ein Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Dies habe er Jahre später erfahren, als er 1994 Schweizer Botschafter in London geworden war und sich im Aussenministerium auf die Suche nach seinem ehemaligen Mitarbeiter gemacht habe, sagt Nordmann im Gespräch mit Radio SRF.
Man habe ihn an ein Spezialbüro verwiesen. Schliesslich sei der ehemalige Mitarbeiter bei ihm auf der Botschaft aufgetaucht und habe gestanden, in Guatemala für den MI6 gearbeitet zu haben. Darüber konnte er offen sprechen, weil er den Geheimdienst inzwischen verlassen hatte. Was genau seine Mission war, blieb offen.
Zum MI6 nach Mexiko
Nordmann schockiert der Vorfall bis heute. Der Brite sei «sehr nett und angenehm gewesen» und habe «gute Kontakte in die guatemaltekische Gesellschaft gehabt», erinnert er sich. Man habe Informationen ausgetauscht. Nie hätte er gedacht, dass unter seiner Aufsicht ein Agent statt eines Diplomaten arbeitete, so der Freiburger.
Ab und zu sei der Mann nach Mexiko gereist, mutmasslich um vom MI6 neue Instruktionen zu bekommen. Aber auch die Reisen nach Mexiko und andere Orte hätten ihn nicht stutzig gemacht, so Nordmann. Über die britische Spionage unter Schweizer Flagge und vieles mehr schreibt François Nordmann in seinen Memoiren, die am Montag in der Buchreihe der Forschungsstelle Diplomatische Dokumente der Schweiz erscheinen.
Auch Amerikaner mit eigenem Personal
Ist es denkbar, dass auch aktuell unter Schweizer Flagge spioniert wird? Dass beispielsweise die Amerikaner Geheimdienstleute in der Schweizer Botschaft in Teheran platziert haben, wo die Schweiz gegenüber dem Iran US-amerikanische Interessen vertritt?
Philippe Welti, ehemaliger Schweizer Botschafter im Iran, kann sich das nicht vorstellen. Zwar beschäftigten die Amerikaner in der Schweizer Botschaft eigene Leute, aber diese seien lokal rekrutiert worden und mit administrativen Aufgaben beschäftigt, unter Aufsicht von Schweizer Konsularmitarbeitern.
Nordmann: «Arbeitsunfall»
Das Eidgenössische Departement für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) weist wiederum darauf hin, dass das Personal einer solchen Sektion wie jener im Iran vom Gastland akkreditiert werden muss. Der Gaststaat habe somit die Möglichkeit, das sogenannte Agrément ohne Begründung zu verweigern.
François Nordmann wertet den britischen Spion in «seiner» Botschaft in Guatemala heute als «Arbeitsunfall».