Aserbaidschan hat in der vergangenen Woche das Gebiet Bergkarabach erobert. Damit hat Aserbaidschan den Konflikt vorerst für sich entschieden. SRF-Auslandredaktor Calum MacKenzie, der sich zurzeit vor Ort befindet, erläutert die aktuelle Situation Armeniens und Aserbaidschans weitere Forderungen.
Wie geht es weiter im Konflikt um Bergkarabach?
Aserbaidschan hat die vollständige Kontrolle über das Gebiet erlangt und dürfte den Konflikt nun für sich entschieden haben. Armenien und die Bewohner von Karabach sind nicht in der Lage, dagegen etwas auszurichten.
Bleiben die Armenierinnen und Armenier in Bergkarabach?
Nein. Viele von ihnen sind auf der Flucht nach Armenien. Nach der langen aserbaidschanischen Blockade haben sie den Angriff wohl kommen sehen und die wenigsten von ihnen erwarten, dass sie je wieder einen Fuss nach Bergkarabach setzen können. Es scheint klar, dass alle Armenierinnen und Armenier Bergkarabach verlassen werden.
Laut der armenischen Regierung sind bisher über 28'000 Menschen in Armenien eingetroffen. Aserbaidschan behauptet zwar, die armenische Bevölkerung könne «reintegriert» werden in Aserbaidschan, aber das glaubt niemand. So wie jetzt die armenische Bevölkerung vertrieben wird, wurde auch die aserbaidschanische einmal vertrieben. Die aserbaidschanische Propaganda spricht in diesem Zusammenhang von Rache gegenüber Armenien.
Warum hat Armenien bei dem aserbaidschanischen Angriff auf Bergkarabach nicht mehr Widerstand geleistet?
Im Vergleich zu Aserbaidschan ist Armenien militärisch schwach. Aserbaidschan hat ein hochmodernes Militär mit Waffen aus der Türkei und aus Israel. Dies kann sich das Land leisten, weil es mit dem Export von Gas viel Geld verdient. Armenien hat den letzten Karabach-Krieg 2020 deutlich verloren. Das Risiko einer derartigen Niederlage wollte Armenien nicht wieder eingehen, auch nicht das Risiko, dass nicht nur die Exklave Bergkarabach angegriffen wird, sondern Armenien selbst.
Wie geht es weiter zwischen Aserbaidschan und Armenien?
Aserbaidschan spricht nun davon, einen Korridor durch Armenien zu erzwingen. Für Aserbaidschan geht es um eine Verbindung zu seiner Exklave Nachitschewan. Nachitschewan wird von Armenien und Iran umschlossen. Völkerrechtlich ist das so anerkannt. Aserbeidschan fordert, dass Armenien einen Korridor zur Verfügung stellt, damit der Verkehr ungehindert fliessen kann. Der Korridor würde quer durch armenisches Gebiet führen.
Auch Aserbaidschans Verbündeter, die Türkei, stellt diese Forderung. Armenien aber möchte dies lieber nicht, weil es befürchtet, von seinem südlichen Gebiet und von der Grenze zu Iran abgeschnitten zu werden. Aserbaidschan hat aber schon mit einem militärischen Angriff auf Armenien gedroht.
Lässt Russland seinen ehemaligen Verbündeten Armenien fallen?
Ja. Das ist der Hauptgrund, warum Armenien schutzlos dasteht. Russland war die Schutzmacht von Armenien und Bergkarabach. Doch mit dem Krieg in der Ukraine sind Aserbaidschan und die Türkei für Russland zu wichtigeren Partner geworden. Russland kann nun sein Gas an Aserbaidschan verkaufen und Aserbaidschan verkauft sein eigenes Gas an Europa. Es ist quasi ein Ringtausch.
Und die Türkei hilft Russland auch bei der Umgehung der Sanktionen. Deshalb hat Russland Armenien immer weniger gestützt, worauf sich die Armenien an den Westen gewandt hat. Das hat Russland aber nicht goutiert. Russland ist an diesem Korridor sehr interessiert, weil es durch die Stationierung von russischen Friedenstruppen einen neuen Hebel gegen Armenien und Aserbaidschan in der Hand hätte.