Gut fünf Millionen Finninnen und Finnen sind am Sonntag aufgerufen, ein neues Staatsoberhaupt zu wählen. Der neue Präsident oder die neue Präsidentin lösen den bisherigen Amtsinhaber Sauli Niinistö ab, der nach zwölf Amtsjahren nicht mehr antreten darf.
Das neue Staatsoberhaupt wird ein Land führen, dessen geopolitisches Umfeld sich in der jüngsten Vergangenheit grundlegend verändert hat. Mit einer über 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland steht die nationale Sicherheit zurzeit ganz oben im Sorgenbarometer der Bevölkerung.
Verstärkter Rechtstrend erwartet
Der politische Rechtsrutsch, der bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr eingeläutet wurde, dürfte sich bei den Präsidentschaftswahlen noch verstärken.
Zu den Favoriten gehört der frühere konservative Ministerpräsident Alexander Stubb. Wird der 55-Jährige gewählt, wäre er das erste auch schwedischsprachige Staatsoberhaupt Finnlands seit dem Zweiten Weltkrieg, als kurzzeitig General Carl Gustaf Mannerheim diese Rolle übernommen hatte.
Für den international ausgerichteten Stubb ist die vor bald 75 Jahren in Helsinki gebildete Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ein wichtiges Fundament für ein friedlicheres Europa, wie er in der Schlussdebatte des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Yle betonte.
Er sei überzeugt, dass der Geist von Helsinki wieder wirken könne und die Weltordnung in zehn Jahren bedeutend friedlicher sei als heute, betonte Stubb. Laut jüngsten Umfragen kann er mit gut einem Viertel der Stimmen rechnen.
Stubb dicht auf den Fersen ist der ehemalige Aussenminister Pekka Haavisto, der bereits zu den beiden letzten Präsidentschaftswahlen angetreten war und jeweils klar gegen Sauli Niinistö verloren hatte. Er war vor 30 Jahren das erste grüne Regierungsmitglied Europas.
Für den 65-jährigen Haavisto spielt bei der Lösung der Kriegssituation in Europa nicht die OSZE, sondern die Nato und neutrale Drittstaaten eine entscheidende Rolle: «Weil Russland die OSZE boykottiert, kann diese wenig ausrichten. Jetzt braucht es neben den Sicherheitsgarantien der Nato vor allem auch Länder, mit denen Russland zu verhandeln bereit ist.»
Ins höchste Staatsamt will auch der amtierende Parlamentspräsident Jussi Halla-aho. Er ist Mitglied der nationalkonservativen «Partei der Finnen», welche Teil der im letzten Jahr gewählten Regierungskoalition sind.
Der 52-jährige Halla-aho gilt als islam- und einwanderungsfeindlich und wurde schon mehrfach wegen Verleumdung verurteilt. Trotzdem stösst er vor allem in der jüngeren männlichen Bevölkerung auf grosse Zustimmung. Finnland müsse jetzt auf sich selber aufpassen, betonte er in der Fernsehdebatte: «Wir haben es in der Hand, in dieser unsicheren Welt für ein finnisches Finnland einzustehen.»
Stichwahl sehr wahrscheinlich
Die Chancen, dass das neue finnische Staatsoberhaupt bereits am Sonntagabend feststeht, sind klein. Denn im Feld von neun Kandidatinnen und Kandidaten aus allen politischen Lagern wird wohl niemand die magische 50-Prozent-Marke schaffen.
Das Interesse richtet sich deshalb darauf, welche zwei Personen es in die Stichwahl vom 11. Februar 2024 schaffen. Ein Auftrag ans neue Staatsoberhaupt wird lauten: Nicht mehr wie früher vor allem mit den Herrschern im Kreml reden, sondern Moskau als neues Nato-Mitglied die Stirn bieten.