Worum geht es im Prozess gegen Aleem N.? Er ist in einem Alter, in dem andere an den Ruhestand denken – nicht so Aleem N., heute 61-jährig. Der in Pakistan geborene Deutsche, wegen Unterstützung von Al Kaida mehrere Jahre im Gefängnis, plante offenbar so etwas wie eine zweite Karriere – nur bei einer neuen Terrororganisation: beim Islamischen Staat (IS). Nun beginnt vor dem Oberlandesgericht Celle der Prozess gegen Aleem N. sowie einen mutmasslichen Komplizen.
Die deutsche Generalbundesanwaltschaft wirft ihm unter anderem vor, eine «schwere staatsgefährdende Gewalttat» vorbereitet zu haben. Aleem N. habe sich dem IS in Syrien anschliessen wollen, so der Vorwurf.
Als ihm dies nicht gelungen sei, habe er nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Oktober 2020 damit begonnen, Propaganda-Dokumente ins Deutsche zu übersetzen und zu verbreiten. Ab März 2022 habe er sich von Deutschland aus in die Strukturen des IS eingegliedert. Er sei Mitglied einer IS-internen Telegram-Chatgruppe gewesen, schreibt die deutsche Anklage.
Welche Bezüge hatte Aleem N. in die Schweiz? Zwei Reisen in die Schweiz sind gemäss Recherchen von SRF aktenkundig: nach Winterthur und ins Berner Oberland. An beiden Orten traf er Männer aus der Schweiz, die im Verdacht standen, ebenfalls den IS zu unterstützen. Im April 2021 traf er in der Region um den Thunersee einen dort aufgewachsenen Kosovaren. Mit ihm sprach er gemäss Justizdokumenten darüber, was bei der Planung eines Terroranschlags in der Schweiz beachtet werden müsste. Der Kosovare wurde anfangs 2022 aus der Schweiz ausgeschafft.
In Winterthur besuchte Aleem N. zudem mutmassliche IS-Unterstützer. Dabei ging es gemäss Akten, die SRF einsehen konnte, um die Verbreitung von IS-Propaganda, Vorbereitung von Reisen zum IS in Syrien sowie um Geldsammlungen.
Welche Rolle spielen die Schweiz-Beziehungen im Prozess? Im Rahmen der Strafverfahren gegen Verdächtige in der Schweiz war Aleem N. den Behörden aufgefallen. Bei Audio-Überwachungen seiner Treffen in der Schweiz wurden Aussagen von ihm aufgezeichnet – unter anderem auf diese Beweise stützt sich die deutsche Anklage nun ab.
Welche Erkenntnisse sind vom Prozess zu erwarten? In erster Linie sollen die strafrechtlichen Vorwürfe geklärt werden – dafür werden über mehrere Wochen verteilt Ermittlerinnen sowie Sachverständige befragt, und Aleem N. wird sich erklären können.
Darüber hinaus ist der Prozess spannend, weil Aleem N. und seine mutmasslichen Schweizer Helfer noch bis Mitte letzten Jahres für den IS aktiv gewesen sein sollen. Das bietet Einsichten in das Funktionieren von vermuteten IS-Unterstützer-Netzwerken in Europa und es lässt sich ableiten, wie die IS-Ideologie noch heute weiterverbreitet wird und Nachwuchs angeworben wird.
Wo stehen die Strafverfahren gegen die in der Schweiz Festgenommenen? Am 13. Juni 2022 kam es zu einer koordinierten Polizeiaktion: Aleem N. wurde in Römerberg (D) festgenommen – zeitgleich mit drei Personen in der Schweiz. Dabei handelt es sich um mutmassliche Komplizen von Aleem N. in Winterthur. Zwei davon waren einschlägig bekannt. Diese Männer sind noch in Untersuchungshaft, die Strafverfahren offen.
Der dritte Winterthurer war zu Tatzeit minderjährig und wird nach Jugendstrafrecht verfolgt. Das Verfahren ist noch offen und der inzwischen volljährige Mann ist auf freiem Fuss. Die Strafverfahren gegen den Kosovaren aus dem Berner Oberland sind abgeschlossen. Er ist mit einem Einreiseverbot von 20 Jahren belegt.