In den USA hat es ein Country-Song auf Anhieb auf Platz 1 der Charts geschafft und dabei Grössen wie Taylor Swift oder Olivia Rodrigo hinter sich gelassen. In «Rich Men North of Richmond» singt Oliver Anthony, ein bislang kaum bekannter Country-Musiker, von Gerechtigkeit und harter Arbeit – und bekommt dafür grossen Zuspruch aus dem Lager der Republikaner.
Begleitet von Bluegrass-Musik, einem Zweig der Country-Musik, prangert der Song die Härte des Lebens der Arbeiterklasse und der Ärmsten der Armen angesichts der Privilegien der Reichen und Eliten in der grössten Wirtschaftsmacht der Welt an.
«Ich verkaufe meine Seele, schufte den ganzen Tag für nichts. Es ist eine Schande, was die Welt für Menschen wie dich und mich geworden ist», singt der rotbärtige Farmer aus dem Bundesstaat Virginia im Süden der USA. Wen Anthony mit den «Rich Men North of Richmond» meint, sagt er zwar nicht. Doch Richmond, die Hauptstadt Virginias, liegt rund 170 Kilometer südlich von der Hauptstadt Washington DC entfernt.
Die Zeitung «New York Post» nennt den Song «eine Hymne der Arbeiterklasse». Für Claudia Brühwiler, Dozentin für Amerikanistik an der HSG, sind es neben der einfachen Machart des Songs vor allem die populistischen Inhalte, die «Rich Men North of Richmond» zum Hit gemacht haben. «Anthony klagt nicht nur über die da oben, sondern auch über die am unteren Spektrum, die aus seiner Sicht zu Unrecht vom Staat profitieren. Mit dieser Message trifft er einen Nerv.»
«Rich Men North of Richmond» ist nicht der einzige Countrysong, der derzeit für Furore sorgt. Auch über «Try That in a Small Town» (zu Deutsch: «Versuch das mal in einer Kleinstadt») von Country-Superstar Jason Aldean wird zurzeit viel geredet – beziehungsweise über das Musikvideo zum Stück.
Debatte: Wie politisch ist Country?
Darin spielt Aldean seinen Song unter anderem vor einem Gerichtshaus, vor dem einst Afroamerikaner gelyncht wurden. Zudem sind Bilder der Black-Lives-Matter-Bewegung zu sehen, während der 46-Jährige über das Recht auf das Tragen einer Waffe singt: für viele, darunter die ebenfalls bekannte Country-Musikerin Sheryl Crow, ein kaum verdeckter Aufruf zu Gewalt.
Ist die Country-Musik also zum Verstärker konservativer Befindlichkeiten geworden? «Eigentlich geht es in der Country-Musik häufig ums Gleiche wie in anderen Musikstilen auch – Herzschmerz etwa», sagt Brühwiler. Und trotzdem gebe es diese Verbindung zur Politik. So liess bereits Präsident Richard Nixon ein Album seiner Lieblings-Country-Stücke veröffentlichen, in denen die Heimat nostalgisch besungen wurde, als Gegenstück zur Antikriegsbewegung seiner Zeit. Nach dem Einmarsch der USA in den Irak 2003 sprachen sich viele Künstlerinnen und Künstler für oder gegen den Krieg aus.
Und auch heute lässt sich die US-Politik bereitwillig auf die Kontroverse um die beiden Titel ein. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Ron DeSantis bezeichnete die Debatte um den Song von Aldean jüngst als «krank». Sie beweise, dass Amerika vom Weg abgekommen sei.
Diese Debatten stünden eigentlich stellvertretend für die Kulturkämpfe im Land, sagt Brühwiler. «Die Gesellschaft in den USA ist nach wie vor gespalten.» Es könne aber auch gesund sein, wenn jetzt gewisse Themen angesprochen werden. «Das bringt immerhin eine Auseinandersetzung mit der anderen Seite.»