Zum Inhalt springen

Serbien in Aufruhr Proteste in Belgrad bewegen serbische Community in der Schweiz

Von «himmeltraurig» bis «wunderschön»: In der Schweiz unterstützen viele Serbinnen und Serben die Protestbewegung in ihrem Heimatland. Es gibt aber auch kritische Stimmen.

«Es ist etwas Wunderschönes im Gange», sagt Aleksandar Kostić. Der serbisch-schweizerische Doppelbürger ist am Wochenende für die grosse Demonstration in Belgrad aus der Schweiz angereist. Jeden Moment sollen die Studentinnen und Studenten ankommen, die auf tagelangen Fussmärschen durchs ganze Land unterwegs waren. «Der Präsident galt hier lange als eine Art Gott», sagt Kostić. «Aber jetzt verlieren die Leute ihre Angst und gehen auf die Strasse.»

Aleksandra Zdravković, ebenfalls aus der Schweiz angereist, pflichtet bei: «Dass sich junge und ältere Leute gemeinsam gegen die Regierung einsetzen, ist sehr motivierend.»

Serbien ist seit Monaten in Aufruhr

Box aufklappen Box zuklappen
Mann hält Schild hoch
Legende: «Vučić – gefährlicher Hetzer» So steht es auf diesem Protestschild geschrieben. Die Auflehnung der Serbinnen und Serben wird immer grösser. SRF

Was als Studentenprotest begann, ist zu einer Massenbewegung geworden. Seit Monaten demonstrieren in Serbien immer wieder Tausende gegen Korruption und Misswirtschaft. Auslöser der Bewegung war der Einsturz des Vordachs einer Bahnhofshalle in Novi Sad. Wegen mutmasslichen Pfuschs am Bau sind 15 Menschen ums Leben gekommen. Am Wochenende kam es zu den grössten Protesten in der Geschichte Serbiens.

Die Forderung der Protestbewegung ist einfach: funktionierende Institutionen und Gewaltenteilung. Für Präsident Aleksandar Vučić ist diese Forderung gefährlich. Er hat in den letzten Jahren ein System geschaffen, das auf ihn und seine Partei zugeschnitten ist.

Zurückhaltung in der Schweiz

Auch in der Schweiz gingen Serbinnen und Serben auf die Strasse, um ihre Unterstützung für die Studenten zu zeigen. Doch nicht alle teilen die Euphorie. Unter der Regierung von Präsident Vučić sei das Land aufgeblüht und habe sich stark entwickelt, ist gerade bei der älteren Generation Serben zu hören.

Serbische Volksmusik schallt durch einen Keller in Schönenwerd (SO). Das Ensemble des Volkstanzvereins «Vuk Stefanović Karadžić» singt mit voller Energie mit. «Das sind unsere Wurzeln», sagt eine Tänzerin. Sie bereiten sich hier auf die Schweizer Meisterschaften in serbischer Folklore vor, die nächsten Samstag stattfinden.

In die Politik in ihrem Heimatland wollen sich die meisten nicht einmischen. Der Verein betont, er sei politisch neutral. «Ich enthalte mich», sagt ein Tänzer. «Aber natürlich geht es mir nahe. Ich hoffe, dass bald wieder Ruhe einkehren wird.»

Ein älterer Serbe sieht dem einstudierten Volkstanz zu. Die «Rundschau» zeigt ihm Bilder der Demonstrationen in Belgrad. «Es ist eine himmeltraurige Geschichte. Ich hoffe, dass die Proteste friedlich bleiben», sagt er. «Warum passiert so etwas immer bei uns?»

Angespannte Stimmung bei Vučić-Anhängern

Die Proteste bleiben friedlich. Doch ist die Situation angespannt. Vor dem Regierungsgebäude haben Vučić-Anhänger ein Zeltlager aufgeschlagen. Unter ihnen sind auch Veteranen der «Roten Bérets» – einer berüchtigten einstigen Spezialeinheit des Milošević-Regimes, die mit politischen Morden in Verbindung gebracht wird.

Ihr Anführer verneint gegenüber der «Rundschau», dass es überhaupt eine Studentenbewegung gibt: «Hör' mir mit diesen Geschichten auf! Es gibt nicht viele Studenten da draussen.» Jene, die protestierten, seien dafür bezahlt worden. Gegen diese Demonstranten werde man sich verteidigen. «Auf Gewalt werden wir mit Gewalt reagieren.»

Die grossen Ausschreitungen bleiben aus. Während der Demonstration machen viele Serbinnen und Serben ihrem Ärger Luft. «Wäre ich Präsident, wäre ich längst zurückgetreten», sagt eine ältere Frau. Es sei Zeit, auf die junge Generation zu hören. «Aber unser Präsident versteht das nicht.»

Aleksandar Vučić wurde an den Wahlen vor zwei Jahren im Amt bestätigt. Doch seine Gegner halten die Wahlen für unfair, zumal Vučić die Staatsmedien kontrolliere und kein Wahlkampf möglich sei. Die Protestierenden fordern deshalb keine Neuwahlen. Sondern einen ganzheitlichen Wechsel des Systems.

Rundschau, 19.03.2025, 20:10 Uhr

Meistgelesene Artikel