Die Nato-Aussenminister haben sich am Freitagnachmittag virtuell zu einer ausserordentlichen Sitzung getroffen. Hauptthema: Der russische Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine und die Konsequenzen für das westliche Militärbündnis. Es ging um eine gemeinsame Position für eine Serie von Treffen, darunter die direkten Gespräche USA-Russland vom Montag in Genf. Auch die Entwicklung in Kasachstan beeinflusse nun zwingend die Überlegungen im Ukraine-Konflikt, berichtet der diplomatische Korrespondent von SRF, Fredy Gsteiger.
SRF News: Was ist bei der Sitzung herausgekommen?
Fredy Gsteiger: Die Sitzung mündete vor allem in einer Demonstration der Einigkeit. Im Kern ging es darum, dass die Nato-Mitglieder die beiden russischen Hauptforderungen entschieden ablehnen. Die erste betrifft den Verzicht auf eine weitere Nato-Erweiterung. Das beträfe nicht nur die Ukraine, Georgien, Moldawien und Bosnien, sondern auch Schweden und Finnland, wenn sie denn beitreten möchten. Das Prinzip der Nato: Souveräne Nationen sollen ihre Allianzen frei wählen dürfen.
Die zweite russische Hauptforderung, keine Nato-Truppen und Waffen in ehemaligen Sowjetrepubliken zu stationieren, wird ebenso entschieden abgelehnt. Denn dann würden etwa die drei baltischen Staaten zu Nato-Mitgliedern zweiter Klasse und könnten durch das Bündnis nicht mehr wirklich verteidigt werden.
Wollten die europäischen Staaten den USA auch rote Linien mitgeben für die Verhandlungen mit Moskau nächste Woche?
Darum ging es sicher auch. Die USA sollen in Genf nicht Zugeständnisse an Russland zulasten der europäischen Sicherheit machen. Gleichzeitig hat man heute eine Art «Gegenofferte» an Russland formuliert und betont, die russische Besorgnis werde ernstgenommen und begrüsse, dass Moskau nun zum Dialog bereit sei. Die Nato sei ihrerseits bereit, Verhandlungen über Rüstungskontrolle zu führen, atomar wie auch im konventionellen Bereich.
Die EU ist bei den Verhandlungen mehr oder weniger aussen vor. Kann es den europäischen Staaten via Nato gelingen, sich wieder einzuschalten?
Zumindest wollen sie das versuchen. Man möchte nicht, dass zwei Grossmächte entscheiden, wer für die europäische Sicherheit sorgt oder nicht. Offenbar ist es gelungen, die Amerikaner insofern an Bord zu bekommen, als Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg klar sagte, die USA würden am Montag in Genf mit Moskau nichts betreffend die Europäer ohne deren Einbezug beschliessen. Tatsache ist aber, dass der Ball zurzeit bei den beiden Grossen liegt und Russland nur mit den Amerikanern auf Augenhöhe verhandeln möchte.
Waren die Unruhen in Kasachstan und das russische Militärengagement auch Thema?
Das liess sich nicht vermeiden. Die Nato-Stellungnahme zu Kasachstan ist aber noch vage und beinhaltet neben der Besorgnis den Appell, die Menschenrechte zu achten. Die Entwicklung in Kasachstan beeinflusst natürlich die Überlegungen im Ukraine-Konflikt. Allerdings auf widersprüchliche Weise: So gibt es etwa die militärische Überlegung, ein längeres russisches Engagement in Kasachstan könnte den Appetit auf einen Angriff der Ukraine reduzieren. Die politische Überlegung wiederum geht dahin, dass Moskau recht rasch in der Ukraine eingreifen könnte, weil nach Belarus nun ein zweites befreundetes Regime von der eigenen Bevölkerung unter Druck geraten ist. Die Konsequenzen der Kasachstan-Krise für die Ukraine-Krise sind also je nach Gewichtung relativ offen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.