Russland und das EU-Land Litauen streiten sich wegen Kaliningrad, der russischen Exklave in Europa. Das Gebiet hat das Potenzial, die Gräben zwischen Russland und der EU weiter zu vertiefen. Und ein Ende des Streits sei überhaupt nicht absehbar, sagt Kai-Olaf Lang. Er ist Osteuropa-Experte bei der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.
SRF News: Was hat es mit diesem Kaliningrad auf sich?
Kai-Olaf Lang: Seit der Erweiterung von EU und Nato ist das zur Russischen Föderation gehörende Kaliningrad von den westlichen Strukturen umgeben. Früher dachte man, Kaliningrad könnte ein Pilotprojekt der Zusammenarbeit zwischen Russland und der EU werden – das hat sich inzwischen zerschlagen.
Kaliningrad ist eine hochgerüstete Region, die für Russland strategisch sehr wichtig ist.
Gleichzeitig ist Kaliningrad aber auch eine Art unsinkbarer Flugzeugträger Russlands – eine hochgerüstete Region, die eine grosse strategische Wichtigkeit für Russland hat. Im Ernstfall könnte Kaliningrad eine rasche Hilfe über den Landweg für die Nato-Verbündeten Litauen, Lettland und Estland verkomplizieren.
Wieso erhitzt die Anwendung der westlichen Sanktionen jetzt auch auf Kaliningrad die Gemüter derart stark?
Russland geht offensichtlich davon aus, dass Verbindungslinien zwischen Teilen Russlands gekappt werden sollen. Aus Sicht Litauens und der EU geht es darum, das Sanktionsregime gegen Russland durchzusetzen. So argumentiert Litauen denn auch, es handle sich keineswegs um eine Blockade. Die nicht den Sanktionen unterliegenden Güter können weiterhin transportiert werden, ebenso sind Personenreisen nicht eingeschränkt.
Russland empfindet die Anwendungen der Sanktionen auf Kaliningrad als neue Provokation des Westens.
Russland sieht sich im Dauerkonflikt mit dem Westen und empfindet den Fall Kaliningrad als neue Provokation des Westens. Deshalb auch die scharfe Rhetorik aus Moskau. Russland warnt bekanntlich vor «schwerwiegenden Folgen».
Wie geht es jetzt weiter?
Das weiss man natürlich nicht so genau. Ich denke aber nicht, dass Russland versuchen wird, mit dem ganz grossen Knüppel dazwischenzugehen und etwa via Belarus die Suwalki-Lücke militärisch zu erobern.
Heutzutage kann man nichts mehr ausschliessen.
Denn dann würde Moskau in einen bewaffneten Konflikt mit der Nato hineinlaufen – diese hat wiederholt unmissverständlich klargemacht, bei jedwelcher Verletzung von Nato-Territorium entsprechend militärisch zu reagieren. Allerdings kann man heutzutage nichts mehr ausschliessen.
Was ist das wahrscheinlichste Szenario?
Russland wird wohl mit einer Kombination aus scharfer Rhetorik, Heavy-Metal-Diplomatie, etwas Säbelrasseln und Gesten der Stärke reagieren. Weitergehende Schritte wären riskant.
Weitere Sanktionen und Gütergruppen werden dazukommen. Das wird Russland nicht einfach hinnehmen wollen.
Allerdings wird dieser Streit um Kaliningrad nicht kleiner werden. In den nächsten Monaten werden weitere Sanktionen und Gütergruppen dazukommen. Das wird Russland nicht einfach hinnehmen wollen.
Das Gespräch führte Corina Heinzmann.