Die Ortsnamen auf den Schildern eingangs Huwara sind mit schwarzer Farbe übermalt: ein Symbol des Landstreits in dieser Gegend. Angeschwärzt sind auch einige Häuserfassaden an der Hauptstrasse, auf einem Parkplatz stehen ausgebrannte Autos.
In einem der angeschwärzten Häuser wohnt die 70-jährige Nawal Dmedi. Die Haustüre zum Gebäude fehlt, stattdessen hängt ein Stück Plastik über dem Eingang. Die Palästinenserin ist schwerhörig: Erst nach wiederholtem Klopfen an ihrer Wohnungstüre im zweiten Stock macht sie auf. Sie wirkt übermüdet und nervös. Sie will Kaffee machen, aber die Gasflasche unter dem Herd ist leer. Am 26. Februar hatte sie noch Angst, die volle Gasflasche könnte explodieren, als ein wütender Mob ihr Haus anzündete.
So grausam waren sie noch nie.
Nawal Dmedi kippt die Gasflasche, stellt sie wieder hin: Das restliche Gas reicht gerade noch, um etwas Wasser zu kochen. «So grausam waren sie noch nie,» sagt Nawal Dmedi über die jüdischen Siedler, welche an jenem Februarabend über Huwara herfielen. «Es war wie im Ukraine-Krieg!» Die Palästinenserin lacht kurz, weil sie weiss, wie drastisch der Vergleich klingt.
Aber sie wäre fast verbrannt: draussen die tobende Menge, drinnen das Feuer und der Rauch, und niemand, der ihr zu Hilfe kam. Die Flammen brachten den grossen Wassertank, den palästinensische Häuser mangels zentraler Wasserversorgung haben, zum Schmelzen. Das auslaufende Wasser löschte das Feuer.
Jetzt traut sie sich nachts nicht mehr zu schlafen, aus Angst, die Siedler könnten wiederkommen. «Ich bleibe die ganze Nacht wach, trinke Kaffee, wenn ich müde werde, und lese im Koran», sagt sie. Die mehrfache Grossmutter zeigt vom Balkon aus auf den Hügel hinter ihrem Haus: «Von dort kommen sie.»
Auf dem Hügel liegt die jüdische Siedlung Yitzhar: ein Dorf von Einfamilienhäusern, welche die «New York Times» einst als «illegale Extremisten-Bastion» beschrieb. Solche Bezeichnungen findet Ezri Tubi unfair – und antisemitisch. Weil sie die Gewalt der Palästinenser gegen die jüdische Bevölkerung ausblenden.
Der bärtige 53-Jährige und seine Frau Ora wurden beide in Jerusalem geboren. Sie sind religiös, ihre Familien stammen aus dem Jemen, Marokko und Ägypten. «Wir sind von hier, aus dem Nahen Osten», sagen die beiden. Sie haben fünf Kinder im Alter von 8 bis 22 und leben seit 20 Jahren in Yitzhar – trotz der Gewalt.
«Ich schlafe mit einer Pistole unter meinem Kopfkissen», sagt Ezri Tubi. Damit es ihm nicht ergehe wie der Siedlerfamilie, die 2011 von Palästinensern in ihrem Haus ermordet wurde.
Wenn ich durch Huwara fahre, halte ich mit einer Hand das Steuerrad, mit der anderen eine Pistole.
Auch tagsüber sei es in Huwara für Jüdinnen und Juden gefährlich, weil es nur eine Strasse gibt – eine zweite, für Siedler, wird erst gebaut. «Wenn ich durch Huwara fahre, halte ich mit einer Hand das Steuerrad, mit der anderen eine Pistole», sagt Ezri Tubi. Er zeigt das Bild eines schwer beschädigten Autos. Erst vor einigen Tagen hätten Palästinenser ein Auto, in dem eine schwangere Jüdin sass, mit Steinen beworfen. Sie sei jetzt noch in Spitalbehandlung.
Für den Sturm einiger hundert Siedler auf Huwara vom 26. Februar hat er Verständnis: An diesem Tag erschoss ein Palästinenser in Huwara zwei junge jüdische Brüder in ihrem Auto.
«Jeden Tag versuchen Araber, Juden zu töten. Die Leute hatten einfach genug», sagt Ezri Tubi. Der Hinweis, dass die Siedlung Yitzhar sich nach internationalem Recht auf palästinensischem Land befindet und damit gestohlenes Land sei, lässt er nicht gelten, schon gar nicht von einer europäischen Journalistin.
«Als die Juden in Europa an Pessach sangen «Nächstes Jahr sind wir in Jerusalem», verhöhnten sie die Europäer und schlachteten sie ab. Aber wir sind hartnäckig.»
Ausharren – trotz der Gewalt
Die 70-jährige Palästinenserin rührt Zucker in den Kaffee. In ihrem Leben hat sie nicht manchen friedlichen Tag erlebt. Aber auch sie bleibt hartnäckig – aller Gewalt zum Trotz. «Allah wird uns Geduld geben. Meine Töchter möchten, dass ich mein Haus verlasse und zu ihnen ins sicherere Ramallah ziehe. Aber ich muss doch in meinem Haus bleiben!»
Eine Lösung des Nahostkonflikts, der länger dauert, als sie am Leben ist, sieht sie nicht. Ebenso wenig wie Ezri Tubi, der von seinem Haus auf dem Hügel nicht nur Nawal Dmedis Haus in Huwara sehen kann, sondern übers ganze Land.
«Ich denke, es wird wieder einen Krieg geben.» Mit diesem pessimistischen Fazit ist Ezri Tubi nicht ganz wohl. «Wenn ich durch Huwara fahre und Familien sehe, denke ich: Schade, dass sie unsere Feinde sind.»