Noch bis vor Kurzem war es undenkbar, jetzt ist es bittere Realität: Nordkoreanische Soldaten sind unterwegs an die Front in Russlands Krieg gegen die Ukraine. «Die Ukraine wird gezwungen sein, auf europäischem Boden gegen Nordkorea zu kämpfen», sagte Präsident Wolodimir Selenski am Wochenende in einer Videobotschaft.
Die 12'000 nordkoreanischen Soldaten machen keinen entscheidenden Unterschied aus.
Trotz dieser beunruhigenden Entwicklung bleibt man in der Ukraine relativ gelassen. «Bis zu 12'000 nordkoreanische Soldaten sind tatsächlich ein Problem für die Ukraine», sagt der Militärexperte Oleksii Melnik von der renommierten Denkfabrik Razumkov-Zentrum.
Zumal es sich um gut ausgebildete und motivierte Spezialtruppen handle. Allerdings: «Einen entscheidenden Unterschied machen diese Soldaten nicht aus.»
Munition aus Nordkorea
Viel stärker ins Gewicht falle die Munition, die Nordkorea an Russland geliefert habe, sagt Melnik. Dabei soll es sich um mehrere Millionen Artilleriegeschosse sowie ballistische Raketen handeln. Diese Waffen sind auf russischer Seite schon seit Längerem im Einsatz.
Putin schürt Unruhe im Konflikt zwischen Nord- und Südkorea – und lenkt so die Aufmerksamkeit der USA auf diesen Krisenherd.
Melnik sagt, Kremlchef Wladimir Putin handle in einem grösseren geopolitischen Zusammenhang – es gehe um mehr als um Mannstärke und Munition.
Südkorea habe bereits sehr wütend reagiert. «Putin schürt Unruhe im Konflikt zwischen Nord- und Südkorea. Und damit wird die Aufmerksamkeit der USA auf diesen neuen Krisenherd gelenkt, weg von der Ukraine.»
Auf diese Art und Weise könne Putin dem Westen erneut dessen Schwäche vorführen und die USA als unzuverlässigen Partner dastehen lassen. «Das ist das Hauptziel Putins», so Melnik.
Der Militärexperte ist dezidiert der Meinung, dass es als Antwort auf diese neuste Provokation Putins konkrete und entschiedene Handlungen brauche – sonst treibe der Kremlherrscher sein übles Spiel nur noch weiter.
USA werden vor den Wahlen nicht reagieren
Auch der Politologe Oleh Saakian stellt die geopolitischen Beweggründe Putins in den Vordergrund: «Putin hat genau in dem Moment diesen unerwarteten Schritt getan, in dem der Westen wegen der anstehenden Wahlen in den USA keine Risiken eingehen will.» Putin wolle einmal mehr demonstrieren, dass er straflos handeln könne.
Das verändert die Lage für Südkorea – eine Niederlage Russlands ist jetzt eine Frage der nationalen Sicherheit.
Doch Putin habe einen strategischen Fehler begangen: «Jetzt hat sich die Lage auch für Südkorea verändert», so Saakian. Bislang habe sich das Land mit Waffenhilfe für die Ukraine zurückgehalten.
Jetzt aber sei eine Niederlage Russlands in der Ukraine für Südkorea zu einer Frage der nationalen Sicherheit geworden. Falls sich Russland in der Ukraine durchsetze, könnten womöglich bald russische Truppen auf der koreanischen Halbinsel auftauchen.
Aufruf an Nordkoreaner zur Aufgabe
Der Ukraine bleibt unterdessen nichts anderes übrig, als sich darauf einzustellen, dass sie es mit nordkoreanischen Soldaten zu tun bekommt – und vielleicht auch mit nordkoreanischen Kriegsgefangenen.
Es kursiert bereits ein Video, das nordkoreanische Soldaten in ihrer Muttersprache dazu aufruft, sich zu ergeben. Dafür, so das Angebot der Ukraine, würden sie bis Kriegsende unter anständigen Bedingungen in einem Lager untergebracht und erhielten dort drei warme Mahlzeiten pro Tag, samt Fleisch und frischem Gemüse.
Ob jemand diesem Aufruf tatsächlich Folge leisten wird – das bleibt abzuwarten.