Um vier Uhr morgens fahren die vier freiwilligen Helferinnen und Helfer in Green Valley los. In zwei Geländewagen, beladen mit Essen, Trinken und Erste-Hilfe-Material, machen sie sich auf den Weg zur Grenze. Laurie Jurs macht dies seit 18 Jahren – mehrmals pro Woche: «Ich lebe seit 40 Jahren im Süden von Arizona. Seit meiner frühzeitigen Pensionierung engagiere ich mich bei den Samaritans.»
Nach etwa einer Stunde Fahrt verlassen wir südlich von Arivaca die Asphaltstrasse. Weiter geht es auf holprigen Naturstrassen, die durch ausgetrocknete Bachbetten führen, zum Teil nur noch im Schritttempo. Wir sind im Nirgendwo; GPS funktioniert hier nicht mehr – für den Notfall ist ein Satellitentelefon dabei.
Die Wüste ist hügelig, Büsche und Kakteen machen das Gelände abseits der Schotterpiste unpassierbar. Laurie mag diese Route, denn hier treffen sie immer wieder auf Menschen, die Hilfe brauchen.
Rund 30 Personen am Morgen über die Grenze gekommen
Nach mehr als einer Stunde erreichen wir die Grenzmauer. In der Morgendämmerung sind schon von weitem Menschen zu sehen, die zusammengekauert um ein Feuer sitzen, eingewickelt in Mäntel und Handtücher, die sie vor der eisigen Nachtluft schützen. Dort, wo die rund 15 Kilometer lange Lücke in der Grenzmauer beginnt, schleusen Schmuggler die Migrantinnen und Migranten illegal über die Grenze.
Laurie begrüsst sie mit einem «Welcome to America» und versichert auf Englisch und Spanisch: «Wir sind froh, euch helfen zu können. Ihr seid sicher hier. Wir machen nun Kaffee und heisse Schokolade.»
Die kleine Gruppe hat die Grenze schon vor Stunden überquert, in der Hoffnung, auf US-Boden Asyl beantragen zu können, sobald sie auf Grenzbeamte treffen. Die Freiwilligen der Samaritans wissen, dass es noch dauern wird, bis die nächste Grenzpatrouille eintreffen wird.
Laurie will sich einen Überblick verschaffen, fragt alle, woher sie kämen, wie alt sie seien, und ob jemand medizinische Hilfe brauche.
Etwas mehr als 30 Personen sind hier an diesem Morgen über die Grenze gekommen, darunter sind ein Kind und ein unbegleiteter Minderjähriger. Viele sind verängstigt, andere erleichtert, in den USA zu sein. Einige sind seit Wochen, andere seit Monaten unterwegs, die 30-jährige Monica aus Guatemala sagt unter Tränen, sie habe keine andere Wahl gehabt, als ihr Land zu verlassen. Der 36-jährig Kurde Çağdaş reiste von der Türkei via Kuweit, Äthiopien, Brasilien, Dominikanische Republik, El Salvador, Guatemala bis Mexiko und sagt, er sei hier, weil er als Kurde vor dem türkischen Präsidenten Erdoğan habe fliehen müssen.
Anzahl illegale Übertritte massiv zurückgegangen
Auch Menschen aus Nepal, Kamerun, Ägypten und Ruanda sind hier. Laurie erklärt, es sei derzeit normal, an einem Morgen rund 30 Menschen und zahlreiche Nationalitäten anzutreffen. Letztes Jahr seien es sogar bis zu 200 Menschen gewesen.
Die Zahl der illegalen Übertritte entlang der ganzen Grenze ist in den letzten Monaten massiv zurückgegangen. Nicht zuletzt, weil Präsident Joe Biden per Dekret verfügt hat, dass bei mehr als 2500 Asylanträgen pro Tag keine neuen mehr gestellt werden können. Hinzu kommt, dass bereits die mexikanischen Behörden viele Migranten Richtung Süden zurückdrängen.
Die Migration ist eines der wichtigsten Wahlkampfthemen. Gestritten wird darum, wie die Grenze kontrolliert und die hohe Zahl von Grenzübertritten ohne Einreisebewilligungen gesenkt werden könnten.
Im Grenzgebiet dominieren die Demokraten
Der umkämpfte Swing State Arizona hat eine rund 600 Kilometer lange Grenze zu Mexiko. In den Gebieten nahe der Grenze wählen die Menschen mehrheitlich demokratisch. Auch Laurie, die Freiwillige der Samaritans. Sie sei zwar nicht mit allem einverstanden, was Kamala Harris verspreche, doch Donald Trump, der die Papierlosen ausschaffen wolle, sei für sie unwählbar, sagt sie.
Ich will den Menschen etwas Sicherheit, Hoffnung und Freude geben.
Wie die Probleme an der Grenze gelöst werden könnten, weiss auch Laurie nicht. Sie mache, was sie könne: «Ich will den Menschen etwas Sicherheit, Hoffnung und Freude geben. Wir sind die ersten netten Menschen, die sie seit Wochen oder Monaten antreffen. Wir wissen nicht, wie es mit ihnen weitergeht, aber wenigstens verbringen wir ein paar glückliche Stunden miteinander.»
Von weitem ist ein Pick-up-Truck der Grenzpatrouille zu sehen, der sich der Grenzmauer entlang nähert. Die «Border Patrol» kommt regelmässig gegen acht Uhr. «Meistens können sie nicht alle auf einmal mitnehmen, da sie schlechte Fahrzeuge haben, doch wir warten, bis alle in Sicherheit sind.»
Erste Abklärungen beim Grenzposten
Die Asylsuchenden werden dann zum nächsten kleinen Grenzposten in Sasabe gebracht, etwa 30 Kilometer entfernt. Dort werden erste administrative Abklärungen gemacht. Wer einen Eintrag im Strafregister hat, wird gleich wieder zurück über die Grenze geschafft. Ebenso die Mexikanerinnen und Mexikaner. Die anderen werden in die Stadt Tucson gebracht, wo sie einen Asylantrag stellen können. «Wer weiss, wer alles so weit kommt», sagt Laurie.
Die beiden US-Grenzwächter sind inzwischen eingetroffen und weisen die Migrantinnen und Migranten auf Spanisch und Englisch an, Kolonnen zu bilden.
Laurie und die anderen freiwilligen Helferinnen und Helfer warten, bis die letzten Migrantinnen und Migranten weggefahren werden, winken und wünschen ihnen Glück auf der weiteren Reise.