Seit Ende Januar weiss Lian nicht mehr weiter. Seit acht Jahren lebt die Chinesin, die in Wirklichkeit anders heisst, in Genf. Hier hat sie ihr Kind bekommen, hier hat sie für die UNO gearbeitet. Doch nach Donald Trumps Einzug ins Weisse Haus wurde rasch klar: Lians Vertrag wird nicht verlängert. «Ende Januar kam der Arbeitsstop», erzählt die Spezialistin für Frauenrechte an ihrem Küchentisch.
Wie Tausende im internationalen Genf hatte Lian einen befristeten Vertrag an den nächsten gehängt. Mal ein Monat, mal sechs Monate. Jahrelang. Nun sind Beraterinnen wie sie die ersten, die wegen der amerikanischen Budgetkürzungen ihren Job verlieren – ohne Auffangnetz.
Meine Priorität ist jetzt, meine Familie finanziell durchzubringen, mein Kind, mich selbst und meine Eltern.
Anders als festangestellte UNO-Diplomaten hat Lian in Genf zwar Steuern und Beiträge an die Arbeitslosenversicherung bezahlt, Geld aus der Arbeitslosenkasse bekommt sie vorderhand zumindest trotzdem nicht. Das sei bitter und mache sie wütend, sagt die zurückhaltende Frau. Aber sie habe wenig Zeit für solche Gefühle. «Meine Priorität ist jetzt, meine Familie finanziell durchzubringen, mein Kind, mich selbst und meine Eltern.»
Keine Chancen auf einen anderen Job in Genf
Lian hat zwei Universitätsabschlüsse. An ihrem dritten Master arbeitet sie. Doch trotz guter Ausbildung sieht sie keine Chancen, in Genf einen Job zu finden. Es seien zu viele Leute wie sie auf dem Markt. Und ohne Job muss Lian die Schweiz verlassen, eigentlich schon in diesen Tagen.
Die Aufenthaltsbewilligung von temporär Angestellten, die für die UNO oder eine NGO arbeiten, ist in der Regel an den Arbeitsvertrag geknüpft. Läuft der aus, bleiben ihnen zwei Monate Zeit, um das Land zu verlassen. Das sei zu wenig, wenn man Familie habe, sagt Lian. Aber die Behörden seien unnachgiebig. «Es gibt keine Flexiblität.»
Alle sind verunsichert und alle warten darauf, wie drastisch die Kürzungen bei den US-Beiträgen an die Vereinten Nationen und ihren Projekte ausfallen werden.»
Im Palais Wilson, dem Sitz der UNO in Genf, sitzt Laura Johnson in einem abgewetzten Büro. Sie ist Generalsekretärin der Gewerkschaft der UNO-Angestellten in Genf. «Alle sind verunsichert und alle warten darauf, wie drastisch die Kürzungen bei den US-Beiträgen an die Vereinten Nationen und ihren Projekte ausfallen werden.»
Sie selber glaube, das internationale Genf werde nicht verschwinden. Aber es werde sich stark verändern. Das sieht man auch bei der Genfer Kantonsregierung so. Das internationale Genf müsse sich neu erfinden, sagt Regierungspräsidentin Nathalie Fontanet. «Man muss sich wohl auf einige zentrale Aufgaben konzentrieren und möglicherweise auch Kosten sparen.»
Auch Stadt und Kanton Genf betroffen
Das wird auch Konsequenzen für Stadt und Kanton haben: Die UNO und die NGOs in ihrem Umfeld machen fast ein Zehntel der Wirtschaftsleistung der Stadt Genf aus. Der Kanton will dem Internationalen Genf helfen, durch die schwierigen Zeiten zu kommen. Aber die fehlenden Dollar aus den USA könne man natürlich nicht ersetzen.
Es ist kaum zu glauben, dass in ein, zwei Monaten alles in sich zusammenfällt.
Für Lian, die ehemalige UNO-Angestellte, kommt die Hilfe des Kantons zu spät. Sie plant ihren Umzug nach Hongkong. Es sei ein bitterer Abschied. Auch weil die Budgetkürzungen jahrelange Arbeit zunichtemachten. «Es ist kaum zu glauben, dass in ein, zwei Monaten alles in sich zusammenfällt.» Frauen, Kinder, besonders verletzliche Menschen in Entwicklungsländern würden besonders unter den gestoppten Projekten leiden. Das sei schwer auszuhalten.