Syrien ist beim Wiederaufbau aufs Ausland angewiesen. Die De-facto-Regierung von Ahmed al-Scharaa sucht die Anerkennung auf der internationalen Bühne und ist dabei mit vielen geopolitischen Interessen konfrontiert, wie Politikwissenschafter Volker Perthes darlegt.
SRF News: Welche internationalen Mächte spielen in Syrien die entscheidenden Rollen?
Volker Perthes: Bis vor Kurzem haben Russland und Iran eine grosse Rolle gespielt, aber nun mit dem Sturz von Assad selber Niederlagen erlitten. Dazu kommt die Türkei, die als Nachbarstaat seit einigen Jahren auch militärisch interveniert und die Opposition unterstützt hat. Aus diesem Grund wird sie wohl als wichtigster Unterstützer der Übergangsregierung eine grössere Rolle spielen.
Die Russen versuchen zurzeit in Verhandlungen mit Damaskus, ob sie die Landungsrechte für Marineschiffe im Hafen von Tartus bewahren können.
Inwiefern sind diese Mächte vor Ort präsent, auch militärisch?
Die militärische Präsenz von Iran und Russland hat sich mit dem Sturz des Assad-Regimes verringert: Iran hat seine Offiziere der Revolutionsgarden und auch die verbündeten libanesischen und afghanischen Milizen aus Syrien abgezogen. Russland zog seine überall im Land verbreiteten Truppen an den Luftwaffenstützpunkt und die Marinebasis zurück. Viele dieser Truppen wurden ausgeschifft. Die Russen versuchen zurzeit in Verhandlungen mit Damaskus, ob sie die Landungsrechte für Marineschiffe im Hafen von Tartus an der Mittelmeerküste bewahren können.
Wie sieht das bei der Türkei und Israel aus?
Die Türkei ist nach wir vor militärisch präsent und interveniert im Norden Syriens mit widersprüchlichen Interessen. Zum einen will die Türkei ein stabiles Nachbarland, damit ein grösserer Teil der ungefähr drei Millionen syrischen Flüchtlinge im Land in ihre Heimat zurückkehrt. Zum anderen verfolgt Ankara seine antikurdische Politik und bekämpft dort die Schwesterorganisation der in der Türkei verbotenen PKK. Sie befördert damit einen Bürgerkrieg auf Sparflamme zwischen syrisch-arabischen und syrisch-kurdischen Gruppen.
Israel hat nach dem Fall des Assad-Regimes die Besatzungszone auf den Golanhöhen entgegen den Verträgen zwischen Israel und Syrien ausgeweitet. Der neuen syrischen Regierung begegnet Israel mit grossem Misstrauen. Zugleich gibt es noch eine kleine Präsenz amerikanischer Truppen im Osten, die gegen den Islamischen Staat kämpfen, wobei unklar ist, ob Präsident Trump sie abziehen wird.
Wie positioniert sich die De-facto-Regierung Syriens bei dieser Einmischung von aussen?
Die Regierung will bessere Beziehungen zu den Nachbarländern und dem Rest der Welt. Die Unterstützer des Assad-Regimes sollen sich nicht mehr in die Innenpolitik einmischen. Für Iraner gibt ein Einreise- und Landeverbot, während zu Russland mit Blick auf den Wiederaufbau ein vorsichtiger Kontakt besteht. Die weitere Nutzung des Hafens von Tartus wird mit dem Thema Reparationen für die Schäden durch Russland verbunden.
Der Ruf nach einer Aufhebung der Sanktionen durch Europa und die USA scheint mir sehr berechtigt, damit Unternehmer wieder Vertrauen fassen.
Wie optimistisch sind Sie, dass die geopolitischen Interessen den Wiederaufbau in Syrien nicht zu sehr beeinflussen?
Unter dem Stichwort Wiederaufbau geht es wohl vor allem darum, die positiven Energien internationaler Partner zur Geltung kommen zu lassen. Es geht um die arabischen Nachbarstaaten und die Golfstaaten mit ihrem Kapital. Dazu kommt Europa mit seiner grossen syrischem Diaspora. Der Ruf nach einer Aufhebung der Sanktionen durch Europa und die USA scheint mir sehr berechtigt, damit Unternehmer wieder Vertrauen fassen. Das wäre wohl für den Wiederaufbau fast wichtiger als europäische Entwicklungshilfe.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.