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Work-Life-Balance in Indien Indischer Industrieller findet sich in Shitstorm wieder

Ein Konzernchef verlangt von den Angestellten, 90 Stunden pro Woche zu arbeiten. Das kommt schlecht an bei den Indern.

Der umstrittene Kommentar fiel auf der Jahreskonferenz von Larsen&Toubro, einem der grössten Bau- und Maschinenbaukonzerne Indiens.

Auf die Frage, warum der erfolgreiche Milliarden-Konzern seine Mitarbeitenden noch immer an Samstagen arbeiten lasse, sagte Konzernchef S.N. Subrahmanyan: «Ich bedaure, dass ich sie nicht auch am Sonntag arbeiten lassen kann.»

Schliesslich arbeite auch er am Sonntag, so der Chef von rund 45’000 Angestellten. «Was soll man zu Hause auch machen? Wie lange kann man schon seine Ehefrau anstarren?», so Subrahmanyan weiter.

Schon jetzt lange Arbeitszeiten

Es ist nicht das erste Mal, dass ein indischer Unternehmenschef deutlich längere Arbeitszeiten fordert. Erst im Oktober hatte Software-Milliardär Narayana Murthy die 70-Stunden-Woche propagiert. Er ist Gründer von Infosys, dem wohl bekanntesten indischen IT-Unternehmen.

In der breiten Öffentlichkeit erntete der Vorstoss für eine 90-Stunden-Woche beissende Kritik. Denn Indien hat schon jetzt die zweitlängsten Durchschnitts-Arbeitszeiten der Welt.

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung arbeitet 49 Stunden oder mehr, viele allerdings im informellen Sektor. Die Bezahlung ist oft bescheiden, die Produktivität im globalen Vergleich niedrig.

Regierung will, dass mehr gearbeitet wird

Trotz der langen Arbeitstage ist Indien im Club der 20 grössten Wirtschaftsmächte das ärmste Land. Untersuchungen zeigen zudem, dass Arbeitnehmende nicht automatisch produktiver werden, wenn sie länger arbeiten – ganz im Gegenteil. Wird die Arbeitszeit zu lang, sinkt die Produktivität.

Trotzdem steht auch die Regierung hinter längeren Arbeitszeiten. Die indische Jugend müsse in einer Generation arbeiten, wofür andere Länder viele Generationen gebraucht hätten, liess Premierminister Narendra Modi über einen Sprecher ausrichten.

Modi will Indien bis zur Mitte des Jahrtausends zum Industrieland trimmen. Der Premier, selbst kinderlos und getrennt, lässt verbreiten, dass er mit 18-Stunden-Tagen alles gebe für Indiens Aufstieg.

Ausbeutung der Angestellten

Skeptisch ist dagegen der indische Arbeitsmarkt-Ökonom Santosh Mehrotra. Er findet, eine 90-Stunden-Woche sei ziemlich absurd. Die Frage sei auch, ob mit der längeren Arbeitszeit auch die Löhne verdoppelt würden – wohl kaum.

«Warum stellen die Konzerne nicht einfach mehr Leute ein, wenn sie so viel Arbeit haben?», fragt der Ökonom. Die Arbeitslosigkeit sei schliesslich hoch in Indien.

Es sei reine Ausbeutung, Angestellte ohne Gegenleistung länger arbeiten zu lassen, findet er. Profitieren würden allenfalls wenige Top-Manager, die über Aktien direkt am Unternehmenserfolg beteiligt seien.

Manche wollen nicht mehr für Subrahmanyan arbeiten

Für den 90-Stunden-Woche-Befürworter Subrahmanyan könnte der Vorstoss sogar nach hinten losgehen. Zahlreiche Kommentatoren auf X teilten mit, sie hätten nun keine Lust mehr, sich auf eine Stelle zu bewerben. Zuvor galt Larsen&Toubro als attraktiver Arbeitgeber.

Work-Life-Balance scheint also auch in Indien zunehmend ein Thema zu sein. Auch wenn manche Konzernchefs das nicht hören wollen.

Rendez-vous, 17.1.2025, 12:30 Uhr

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