Nach dem Ende des Kalten Krieges war nukleare Abrüstung angesagt. Dabei stellte sich auch die Frage, ob Europa die in mehreren Ländern, etwa in Deutschland oder Italien, eingelagerten taktischen Nuklearwaffen noch brauche. Sie sollen Russland abhalten von Angriffen auf europäische Nato-Länder.
Frank-Walter Steinmeier, bis 2017 deutscher Aussenminister, sagte dazu: «Was die Lagerung amerikanischer Atomwaffen auf deutschem Boden angeht – darüber werden wir mit den Amerikanern sprechen.»
Auf Verblüffung und Ablehnung stiess dann, als der französische Präsident Emmanuel Macron anbot, mit seiner nuklearen «Force de Frappe» die europäischen Alliierten mitzuschützen.
Nukleare Abschreckung in Europa
Inzwischen tönt es völlig anders. Polens Regierungschef Donald Tusk möchte die Atomdiskussion mit den Franzosen unverzüglich aufnehmen. Er erwägt gar eigene, polnische Atomwaffen. Auch Litauens Präsident Gitanas Nauseda wünscht sich einen gemeinsamen europäischen Atomschirm. Offen für eine Europäisierung der französischen und britischen Atomwaffen ist zudem Deutschlands künftiger Bundeskanzler Friedrich Merz.
Das eben noch Undenkbare wird ernsthaft diskutiert – in der Politik, in Denkfabriken, unter Strategiefachleuten und Generälen. In manchen Ländern kippt die öffentliche Meinung. Laut jüngsten Umfragen sprechen sich beispielsweise in Frankreich oder Polen 50 bis 60 Prozent für eine europäische nukleare Abschreckung aus.
Anders als Trump und seine Leute, sind die Europäer fest davon überzeugt, dass Russland eine Bedrohung bleibt.
Dabei droht US-Präsident Donald Trump noch gar nicht damit, den US-Nuklearschirm für Europa zuzuklappen. Sein Verteidigungsminister, Pete Hegseth, meinte vor der Nato zwar, die Europäer müssten sich konventionell allein verteidigen. Er sagte damit aber implizit, für die nukleare Abschreckung fühlten sich die USA noch zuständig. Doch gilt bei der Trump-Regierung morgen noch, was heute gesagt wird?
USA sind überrascht von Atomdiskussion
Mit einigem Erstaunen registriert man in den USA, wie lebhaft die Europäer über Atomwaffen debattieren, wie sich auf einem Panel der US-Strategiedenkfabrik CSIS zeigte. «Anders als Trump und seine Leute, sind die Europäer fest davon überzeugt, dass Russland eine Bedrohung bleibt», sagt Heather Williams vom CSIS.
Allerdings: Russlands Arsenal an atomaren Gefechtsköpfen ist mit 5500 zehnmal so gross wie das von Frankreich und Grossbritannien zusammen. Dazu kommt: Die britischen, U-Boot-gestützten Atomwaffen sind eng mit dem US-Atomprogramm verzahnt, sind also gegen Washingtons Willen kaum einsetzbar. Frankreichs «Force de Frappe» ist hingegen unabhängig von den USA konzipiert und umfasst neben U-Booten auch atomar bestückbare Kampfflugzeuge.
Nicht nur in Europa ist atomare Abschreckung wieder ein Thema. Die maximale Unsicherheit über die militärische Rückendeckung der USA löst etwa in Japan, Südkorea, Taiwan, Saudi-Arabien oder in der Türkei ähnliche Debatten aus.
Trump pulverisiert mit seiner disruptiven Politik auch den traditionellen Atommächtekonsens, dass man neben sich selber möglichst keine weiteren Staaten mit Nuklearwaffen duldet. Nun dürfte es bald mehr solche geben. In jedem einzelnen mag man sich dadurch sicherer fühlen. Doch die Welt wird gefährlicher.