Laut der zweiten SRG-Umfrage vom GFS Bern liegt die Stimmbeteiligung bei den Vorlagen vom 9. Juni mit 48 Prozent deutlich tiefer als bei der Abstimmung über die 13. AHV-Rente vom März. Auch die Zahlen der bis kurz vor dem Abstimmungssonntag eingegangenen Stimmen aus den Städten deuten auf eine tiefere Stimmbeteiligung hin. Diese lag im März bei 58.3 Prozent. Was sind die Gründe für die tiefere Mobilisierung bei den aktuellen Vorlagen? Lukas Golder ist Co-Leiter des Forschungsinstituts GFS Bern. Er erklärt.
SRF: Was fällt Ihnen auf, wenn Sie die geschätzte Stimmbeteiligung im Vergleich zu anderen Jahren anschauen?
Lukas Golder: Wenn man bedenkt, dass so viele umstrittene Vorlagen zur Diskussion stehen, ist die Mobilisierung in den Städten, aus denen wir Daten haben, noch immer tief. Das ist eher überraschend, wenn man berücksichtigt, dass der Trend bei Abstimmungen langfristig in Richtung steigende Beteiligung geht.
Gemäss den Daten aus den Städten zeigt sich bei der brieflichen Abstimmung, dass es weniger Rücklauf gibt. Lässt das Rückschlüsse zu?
Alle Signale, die wir haben, zeigen, dass wir in Richtung 50 Prozent Stimmbeteiligung und darunter steuern. Das ist im Vergleich wenig. Der Mittelwert in den letzten Jahren war gegen 50 Prozent. Das ist eine Überraschung.
Weshalb?
Man ging nach dem Ja zur Initiative über die 13. AHV-Rente davon aus, dass die Stimmung immer noch aufgeladen bleibt, die Linke sehr mitreissende Kampagnen fahren kann und dass das Thema umstritten ist – vor allem die Prämien-Entlastungs-Initiative. Und dass das quasi wieder so einen Schub gibt. Dieser blieb aber aus.
Warum zieht denn diese Initiative weniger als jene zur 13. AHV-Rente?
Die Initiative über eine 13. AHV-Rente hat eine Stimmung bei den Rentnerinnen und Rentnern aufgenommen und aufgeladen. Viele Menschen, die normalerweise nicht unbedingt links stimmen, wurden mitgerissen von dieser intensiven Kampagne. Diesmal sind die Mittel geringer. Die Komplexität ist grösser und insgesamt ist diese Kampagne ruhiger.
Es ist für viele klar, dass man Familien und weniger privilegierte entlasten sollte, weil die Prämien zu stark steigen.
War die 13. AHV-Rente-Abstimmung eine Ausnahme?
Diese Initiative war gut platziert, einfach und hat eine Stimmungslage gerade bei Rentnerinnen und Rentnern aufgenommen. Obwohl das Thema Gesundheitspolitik stark interessiert, haben wir diesmal diese Proteststimmung weniger.
Weshalb reisst diese Initiative nicht mit? Bei Umfragen sind die Gesundheitskosten im Sorgenbarometer häufig weit oben platziert.
Es ist für viele klar, dass man Familien und weniger privilegierte entlasten sollte, weil die Prämien zu stark steigen. Dieses Problem wird durchaus breit wahrgenommen. Trotzdem ist es eben so, dass die Gesundheitspolitik komplexer und verworrener ist, die Entlastungen und die individuellen Prämienverbilligungen werden zum Teil unterschiedlich nach Kantonen ausgesprochen und das macht es schwierig abzuschätzen, wer profitiert und wer zahlt.
Nun wird am Sonntag auch über das Stromgesetz abgestimmt. Könnte es sein, dass die Prämien-Initiative etwas im Schatten dieser anderen Vorlage stand?
Es gibt zwei Hinweise, dass das Stromversorgungsgesetz auch eine sehr wichtige Vorlage vom kommenden Sonntag darstellt. Wir haben bei den Medien viele Artikel zu diesem Thema und wir haben deutlich höhere Budgets – vor allem auch auf der Ja-Seite. Das zeigt, dass die Relevanz der Vorlage auch hoch ist, aber dieses Element zieht nicht wahnsinnig. Das heisst, dass es nicht so eine klare Leadvorlage gab wie bei der 13. AHV-Rente.
Das Gespräch führte Wilma Hahn, Mitarbeit: Isabel Gajardo, Charlotte Michel.