Worum geht es? Nach dem Messerangriff auf einen orthodoxen Juden am Wochenende in Zürich gibt es Forderungen, dem 15-jährigen mutmasslichen Täter die Schweizer Staatsbürgerschaft zu entziehen. Dies verlangt etwa der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr in einem Interview mit der NZZ. Der Jugendliche ist tunesischer Herkunft, er wurde 2011 eingebürgert. Eine Grundvoraussetzung für eine Ausbürgerung ist, dass die betroffene Person noch eine weitere Staatsangehörigkeit hat als jene der Schweiz.
Manche Juristen sagen, der Entzug der Staatsbürgerschaft soll bei einem Kind grundsätzlich nie möglich sein.
Wie ist das Verfahren? Damit das Bürgerrecht entzogen werden kann, muss die betreffende Person «dem Ansehen oder den Interessen der Schweiz erheblich schaden», wie beim Staatssekretariat für Migration (SEM) nachzulesen ist. Voraussetzung dazu ist ein rechtskräftiges Gerichtsurteil, beispielsweise im Zusammenhang mit Terrorismus. Sollten dem 15-Jährigen also terroristische Absichten nachgewiesen werden – offenbar existiert ein Bekennervideo des 15-Jährigen, das diesen Schluss zulässt – droht ihm der Entzug der Schweizer Staatsbürgerschaft. Damit es dazu kommt, muss aber auch das Verhältnismässigkeitsprinzip gewahrt werden, wie die Basler Verfassungsrechtlerin und Bürgerrechtsexpertin Barbara von Rütte betont. Und: Das Interesse des Staates an einer Ausbürgerung muss gegenüber dem Interesse der betroffenen Person überwiegen.
Untersuchung zum Thema
Wieso ein Spezialfall? Verkompliziert wird der Fall aus Zürich durch die Tatsache, dass es sich beim mutmasslichen Täter rechtlich um ein Kind handelt. «Kann man bei einem Kind von einem schweren Verbrechen ausgehen?», stellt von Rütte in den Raum. Rechtlich müssen zudem die UNO-Kinderrechtskonvention und der UNO-Pakt II über die bürgerlichen und politischen Rechte berücksichtigt werden. Die Lehrmeinung dazu, was im Rahmen dieser Vorgaben bezüglich des Bürgerrechtsentzugs überhaupt möglich ist, sei umstritten, so von Rütte. «Manche Juristen sagen, der Entzug der Staatsbürgerschaft soll bei einem Kind grundsätzlich nie möglich sein.» Im vorliegenden Fall hat der 15-Jährige immer in der Schweiz gelebt. «Deshalb würde der Entzug des Bürgerrechts einen sehr schwerwiegenden Eingriff in sein Leben bedeuten», sagt die Juristin.
Zwingende Ausschaffung? Eine Ausbürgerung darf aus völkerrechtlicher Sicht grundsätzlich nicht mit dem alleinigen Zweck einer Ausschaffung verhängt werden. Wenn ein Entzug des Staatsbürgerrechts aber gerichtlich verfügt worden ist, ist ein Landesverweis mit Einreiseverbot meist die Folge. «Auch im vorliegenden Fall würde dem Jugendlichen wohl das Aufenthaltsrecht entzogen und eine Ausweisung verfügt – wogegen er aber wiederum Beschwerde erheben kann», so von Rütte. Im Beschwerdeverfahren würde vom Gericht dann auch das Refoulement-Verbot geprüft – also die Frage, ob die Gefahr besteht, dass dem Betreffenden im Ausschaffungsland Folter oder anderweitige unmenschliche Behandlungen drohen.