Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) wollen die dem Innendepartement von Bundespräsident Alain Berset vorgeworfenen Indiskretionen untersuchen. Politologe Georg Lutz ordnet diesen Entscheid ein.
SRF News: Was bedeutet die GPK-Untersuchung für Bundespräsident Alain Berset?
Georg Lutz: Der Druck auf ihn wird noch grösser. Es ist jetzt nicht nur die Justiz, die ermittelt, sondern auch das Parlament. Es gibt nun nicht nur eine juristische, sondern auch eine politische Diskussion. Und da will die GPK hinschauen.
Es geht um die Frage, was Alain Berset wann gewusst hat.
Was heisst das genau?
Es geht jetzt nicht mehr nur um den ehemaligen Kommunikationschef Peter Lauener, sondern auch um Alain Berset. Er war bisher nicht Gegenstand juristischer Verfahren. Es geht um die Frage, was er wann gewusst hat. Wenn man jetzt anfängt hinzuschauen, besteht das Risiko, dass weitere unangenehme Dinge ans Licht kommen. Das war hier übrigens der Fall; am Anfang ging es bei dieser Geschichte nicht um Corona, sondern um die Kryptoaffäre. Die Corona-Leaks waren eine Art Beifang.
Ist die angekündigte Untersuchung nur symbolisch?
Nein, ich denke, sie ist mehr als symbolisch – weil sie jetzt neben der juristischen auch eine politische Dimension erhält. Kompliziert wird es dadurch, dass es parallel dazu diverse Strafverfahren gibt und die GPK aufpassen muss, nicht in diese Strafverfahren einzugreifen. Aber es gibt trotzdem Spielräume, die mehr als eine Alibiübung sind.
Wie deuten Sie die Entscheidung, ausdrücklich den Gesamtbundesrat anzuschauen?
Sie ist politisch richtig, denn es ist gang und gäbe, dass Informationen über nicht offizielle Kanäle fliessen. Das ist zwischen allen Departementen der Fall, auch zwischen dem Parlament und allen Medien. Alle Seiten profitieren davon.
Normalerweise kommen diese Vorgänge nicht ans Licht, weil niemand ein Interesse hat, sie aufzudecken.
Es gibt aber eine grosse Grauzone: Es stellt sich die Frage, was noch okay und was ist eine Grenzüberschreitung ist. Normalerweise kommen diese Vorgänge nicht ans Licht, weil niemand ein Interesse hat, sie aufzudecken – weder die Departemente noch die Medien. Doch es ist nicht zufällig, dass bisher noch kein anderes Medium im Fokus stand. Aber das kann sich ändern. Es kann also sein, dass jetzt andere Medien und andere Departemente oder Bundesräte plötzlich ins Rampenlicht kommen.
Mal angenommen, die Untersuchung käme zum Schluss, dass ein Mitglied des Bundesrats systematisch vertrauliche Informationen weitergibt. Was passiert dann?
Es gibt keine Möglichkeit, dass das Parlament einen Bundesrat absetzt. Man kann einfach den Druck erhöhen. Ich hoffe, dass mit dem genauen Hinschauen die Sensibilität erhöht wird. Es gibt das Recht der Öffentlichkeit auf Information.
Dass man versucht, etwas die Spielregeln zu klären, könnte durchaus eine Chance sein.
Es muss aber möglich sein, dass ein Gremium wie ein Bundesrat auf einer Vertrauensbasis zusammenarbeiten und miteinander kommunizieren kann. Dass man versucht, etwas die Spielregeln zu klären, könnte durchaus eine Chance sein. Aber der vorliegende Fall ist schon extrem. Es kann sein, wenn noch mehr Sachen ans Licht kommen, dass der Druck jetzt auch auf einen möglichen Rücktritt von allen Personen noch mal grösser wird.
Wie schätzen Sie es ein: Platzt mitten im Wahljahr noch eine Bombe?
Das bleibt abzuwarten. Interessant ist, dass jemand bei solchen Situationen oft weniger über den Sachverhalt selber stolpert, sondern dann, wenn herauskommt, dass die Person allenfalls vorher die Unwahrheit gesagt hat. Dann wird es deutlich problematischer, als wenn sich das bestätigt, was man bisher weiss.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.